Der Wind in Patagonien ist nicht nur ein gewöhnlicher Bestandteil des Wetters. Es ist tatsächlich etwas ganz Außergewöhnliches. Wir haben ihn auf unserer Radreise durch Südamerika erlebt und fürchten gelernt. Er hat uns einige Male das Reiseradler-Leben zur Hölle gemacht und uns oder unsere Ausrüstung ordentlich aufgemischt.
Unsere Erlebnisse mit dem Wind in Chile und Argentinien:
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Patagonien
Im Süden von Südamerika teilen sich die Länder Chile und Argentinien die Region Patagonien. Die territorialen Grenzen dieser Region sind nicht eindeutig definiert, aber Patagonien hat eine enorme Ausdehnung: ungefähr die Größe der Festlandmasse von Europa.
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Entlang der Westküste bilden die Anden (der südliche Teil der Kordilleren) eine Barriere, an der sich die feuchte Luft vom Pazifik abregnet. Hier fallen bis zu 9000 mm Niederschlag je nach Region. In den höchsten Lagen fällt dieser Niederschlag als Schnee und speist so permanent das Südpatagonische Eisfeld (Campo de Hielo Sur), eine der größten Inlandeisflächen auf unserem Planeten.
Im Osten erstreckt sich die endlose wüstenartige Steppe. Hier fällt kaum Regen (lediglich unter 100 mm pro Jahr), weil die Luft sich über den Anden schon vollständig abgeregnet hat.
Der Wind in Patagonien
Stell dir vor, du steht an der Atlantikküste und dir bläst mit voller Kraft der Wind von der See ins Gesicht. Du steht etwas schräg gegen den Wind, damit du nicht das Gleichgewicht verlierst, so stark ist der Winddruck. Deine Jacke bläst sich prall auf und der Lärm ist ohrenbetäubend.
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Und nun stell dir vor, ein solcher Wind weht dir den gesamten Tag lang und auch des Nachts um die Ohren, egal wo du dich aufhältst, ob in der Stadt oder in der Steppe oder in den Bergen. „Das“ ist der Wind in Patagonien.
In der südlichen Hemisphäre nimmt der Wind mit der Nähe zur Antarktis an Stärke zu. Weil sich dort unten dem Wind nur sehr wenig Landmasse entgegenstellt (eben der Süden von Patagonien), fegt dieser Wind nahezu ungebremst über das weite Land und ist zusätzlich meist ungewöhnlich kalt.
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Die Einheimischen sagen, der Wind weht lediglich im Sommer. Aber der Sommer ist nun mal die einzige akzeptable Jahreszeit für einen Aufenthalt in Patagonien. Damit wird sofort klar: Der Wind in Patagonien erwischt jeden. Und zwar nicht „irgendwann“, sondern sofort nach der Ankunft in Patagonien. Je südlicher, desto heftiger und kälter weht dieser Wind.
Natürlich unterliegt das gesamte Wetter auch in Patagonien einem ständigen Wechsel. Doch dieser heftige Wind ist sozusagen das „Grundrauschen“. Er weht fast immer. Und er weht fast immer mit einer unglaublichen Kraft. Das kommt zum Ausdruck im Winddruck, bei der Windgeschwindigkeit und in einer ungewöhnlich kraftvollen Böigkeit.
In der endlosen Steppe weht der Wind oft den gesamten Tag oder auch länger mit kontinuierlicher Geschwindigkeit über das Land.
In der Stadt oder in hügeligem Gelände weht er oft in starken Böen. Dabei kann es Minutenlang windstill sein. Dann vernimmt man plötzlich ein leises Rauschen und eine Sekunde später schlägt einem eine extrem heftige Windböe entgegen. Man hat sofort Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Ganz gleich, ob man als Fußgänger, Wanderer oder per Fahrrad unterwegs ist.
Immer und überall hat man eine Mischung aus diesen beiden Erscheinungsformen: ununterbrochener Winddruck und heftige Böen.
Radeln bei Wind in Patagonien
Bläst der Wind in den Rücken, freut sich der Radler. Denn was gibt es Schöneres, als mit starkem Rückenwind dahinzugleiten und die vorbeiziehende Landschaft in vollen Zügen zu genießen….
Doch wehe, dieser Wind kommt von vorne oder von der Seite.
Weht der Wind in Patagonien von vorne, geht oft gar nichts mehr. Dann ist der Kampf per Fahrrad aussichtslos. Du schaffst vielleicht 3 km pro Stunde. Zu Fuß, versteht sich, dein Fahrrad schiebend. Denn Radeln ist gegen diesen Winddruck unmöglich. Die vollen Packtaschen am Fahrrad erhöhen die Angriffsfläche für den Wind ganz enorm. Den Rest erledigt der enorme Winddruck. Selbst Schieben kann zeitweise unmöglich werden, wenn der Wind stark böig daher kommt.
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Wir blieben so manches Mal breitbeinig neben unserem Fahrrad stehen, beide Bremsen gezogen, Kopf nach unten gesenkt, die Augen geschlossen wegen dem Sand, und hatten selbst dann noch unsere liebe Mühe, das Reiserad gegen den Wind aufrecht zu halten.
Ebenso anstrengend ist der Wind, wenn er von der Seite bläst. Dann ist es kaum möglich, die Fahrspur zu halten. Das Fahrrad wird in voller Geschwindigkeit schlagartig um einen Meter oder sogar mehr zur Seite versetzt, wenn die nächste Böe eintrifft. Besonders tückisch ist das auf Schotter. Viele Straßen in Chile und auch in Argentinien bestehen aus Schotter.
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Eine weitere Belastung ist der enorme Geräuschpegel in den Ohren durch diesen Wind. Ich habe an einigen Tagen auf unserer Fahrt in der Steppe entlang der RN 40 Gehörschutz getragen, um zumindest diesen einen Stressfaktor auszuschalten.
Aber auch das Abstellen des Fahrrads wird zu einem Abenteuer. Nicht selten fand sich tatsächlich kein geeigneter Stellplatz an der Straße, wo nicht sofort eine heftige Windböe das Rad umgeworfen hätte, ganz gleich, ob Asphalt, Schotter oder Sandboden. Da hilft auch der stabilste Ständer nicht mehr viel. Denn der Winddruck drückt das Fahrrad samt Gepäck auch gegen den Ständer um. Selbst das Anlehnen an einen Schildermast oder eine Häuserwand garantiert keinen sicheren Stand.
So haben wir in der Steppe entlang der Ruta 40 auf manches Foto verzichtet, weil wir das Fahrrad nicht einen einzigen Augenblick aus den Händen lassen konnten.
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Unser Video auf Youtube: Kampf gegen den Wind
Zelten bei Wind in Patagonien
Auch das Zelten ist bei dem Wind in Patagonien eine besondere Herausforderung:
Da wäre zunächst einmal der Winddruck auf die Zeltwände zu nennen. Es hat ja Vorteile, sein Zelt beim Aufbau so zur Windrichtung auszurichten, dass der Wind die geringste Angriffsfläche hat. Doch man hat niemals die Sicherheit, dass der Wind auch immer aus derselben Richtung bläst. Die Windrichtung ändert sich in Patagonien mitunter blitzschnell und plötzlich war alle Mühe beim Aufbau für die Katz.
Auch der Geräuschpegel im Zelt ist beängstigend. Es wird schnell ohrenbetäubend laut und man gewinnt den Eindruck, gleich reißt das Außenzeltgewebe oder eine der Zeltstangen bricht. Dabei sind besonders die heftigen Böen furchteinflößend: Trifft eine Böe aufs Zelt, dann klingt es, wie wenn jemand mit einer Holzlatte aufs Zelt schlägt. Uns hat es mehrmals die Häringe aus dem Boden gerissen, einmal sogar die hintere Abspannleine samt Öse abgerissen.
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Natürlich wirbelt der starke Wind in Patagonien auch immer viel Staub auf. Und der benetzt dann in Windeseile so ziemlich alles, was im Zelt herumliegt und herumsteht. Alles wird eingesandet: die Schlafsäcke, die Schlafmatten, die Kleidung, … alles.
Eine Reinigung ist zwar sinnvoll und auch nötig, um die Ausrüstung zu schonen, doch es ist für die Katz, solange man in Patagonien verweilt. Denn „nach der Reinigung“ ist „vor der Reinigung“.
Auch das Verpacken des Zeltes wird immer zur spannenden Angelegenheit bei diesem Wind in Patagonien. Wir haben an einigen Tagen zuerst die Stangen entnommen und verpackt und erst danach die Häringe aus dem Boden gezogen. Und trotzdem hat der Wind das Zelt beim Falten und Einrollen immer wieder aufgepumpt wie das Segel auf einer Jacht.
Unser Video auf Youtube: Zelten im Wind
Unser Gepäck im Wind von Patagonien
Wenn man erfahren hat, wie anstrengend es ist, sich selber in diesem Wind stabil auf den Beinen zu halten, kann man sich auch vorstellen, was mit „flugfähigem“ Gepäck passiert. Dabei reden wir nicht nur von leichten Teilen wie zum Beispiel einer Ortlieb-Faltschüssel oder einer leeren 1,5 Liter-Trinkflasche, sondern auch über volle Packtaschen und schwere Packsäcke.
Die leichten Teile wehen sofort davon und man hat seine liebe Mühe, sie wieder einzufangen. Die kleinste Unachtsamkeit beim Auf- oder Abpacken der Fahrräder reicht und schon läuft man Gefahr, ein wertvolles Teil seiner Ausrüstung für immer zu verlieren.
Ich bin zweimal unseren Iso-Sitzpads und einmal unserer Ortlieb-Faltschüssel hinterhergelaufen, um sie aufzuhalten. Dabei entscheidet tatsächlich ein Bruchteil einer Sekunde über Erfolg oder Verlust. Denn in der Steppe beginnt spätestens 50 Meter von der Straße entfernt der Zaun. Hat das flüchtige Objekt diesen Zaun passiert, ist es zu spät. Der fliegende Gegenstand ist für immer davon. Dann schaut man seinem Equipment völlig machtlos hinterher und murmelt nur noch „Good bye!“
Aber es trifft auch schwere Gepäckstücke: unser Packsack mit den Schlafsäcken wurde einmal vom Wind mitgerissen, rollte über die Fahrbahn und erreichte dabei durch den großen Winddruck rasant eine unglaubliche Geschwindigkeit.
Ebenso musste ich hinter einer meiner Packtaschen herlaufen, die sich bei einem Sturz auf Schotter (ebenfalls verursacht durch den Wind) vom Gepäckträger gelöst hatte und durch den Wind wie eine Bowlingkugel davon getrieben wurde, immerhin fast 10 kg Gewicht.
Man hält das nicht für möglich, bis man mit solchen Erlebnissen tatsächlich konfrontiert wird. Dann hat man gehörigen Respekt vor dieser Naturgewalt.
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Wäsche trocknen im Wind von Patagonien
Auch das Trocknen der Wäsche auf einer normalen Wäscheleine im Freien birgt ein hohes Risiko. Nicht selten reicht die Klemmkraft der Wäscheklammern nicht aus, um die Kleidungsstücke auf der Leine zu halten. Eine kräftige Böe und die Wäsche fliegt davon und findet sich 10 oder 15 Meter weiter irgendwo im Gras auf dem Nachbargrundstück wieder.
Je nach Menge und Gewicht der nassen Wäsche kommt dabei auch die Wäscheleine an ihre Grenzen. Oder der Nagel in der Wand, an dem die Wäscheleine aufgehängt wurde. Wir haben während der Wochen in Patagonien so ziemlich alles in dieser Hinsicht erlebt.
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Fazit zum Wind in Patagonien
Wenn wir diesen Wind nicht selber erlebt und am eigenen Leib gespürt hätten, dann hätte es uns nicht im Geringsten beeindruckt. Dann wäre es nur „starker Wind“ geblieben. Nun ja, den kennt man ja von überall her.
Nein. Der Wind in Patagonien ist etwas ganz anderes. Er zermürbt auf Dauer, er mischt alles auf, was nicht festgeschraubt ist und manchmal sogar auch das, was festgeschraubt ist.
Hat man diesen Wind als Reiseradler einmal erlebt, dann ist man sofort sensibilisiert. Man scannt gleich sein gesamtes Hab und Gut auf mögliche Auswirkungen durch diesen Wind: Ist alles festgespannt? Fest verzurrt? Kann sich irgendetwas lösen? Ist wirklich alles festgebunden? Sind alle Taschen geschlossen? Man überlegt bei jedem Handgriff, ob man an alles gedacht hat. Die kleinste Unachtsamkeit reicht und wichtige Ausrüstung fliegt für immer davon.
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