Mein schönster Schnappschuss hat eine Geschichte. Und ohne diese Geschichte wäre das Foto nur halb soviel wert. Denn obwohl Bilder ja bekanntlich mehr als 1000 Worte sagen, wäre es noch viel mehr als nur das, wenn der Betrachter die Vor-Geschichte erführe. Hier deshalb die Geschichte zu meinem schönsten Schnappschuss:
Die Vor-Geschichte zum Schnappschuss
1991. Seit wenigen Tagen war ich stolzer Besitzer einer Spiegelreflex-Kamera mit Wechselobjektiven: Canon EOS 100, mit 28-80 sowie 80-200 mm Zoom-Objektiven. Und kaum war Wochenende, ging ich mit der Kamera auf Streiftour, um die erworbene Technik und meinen Blick für einen interessanten Schnappschuss erst einmal eingehend zu testen.
Nach einigen Runden durch die Straßen gelangte ich auf den Marktplatz, wo gerade in hektischer Feierabendstimmung die Samstags-Markt-Stände abgebaut wurden. Flüchtig schweifte mein Blick über das gesamte Feld der Ereignisse, mit dem inneren Wunsch, mich möglichst schnell wieder anderen, interessanteren Orten zu widmen, ….
Doch dann hielt ich inne: da hockte ein altes Mütterchen im Hausfrauenkittel der 60er Jahre am Boden und hielt eine Taube zwischen ihren Händen, so wie eine Bäuerin ihre liebste Henne hält. Reflexartig dachte ich an meinen nächsten Schnappschuss, als sie mich erblickte und mich spontan ansprach: “Junger Mann, können Sie mal helfen hier… die arme Taube.“ Ich sprang vom Fahrrad, lief zu ihr und versuchte zügig zu erfassen, was eigentlich los war mit der Taube. Ein gewisser Widerwille war dabei aber mit im Spiel; Tauben gehören nun mal nicht zu meinen Lieblingstieren.
Eine Kordel hatte sich um die Beine der Taube verfangen und sie somit offensichtlich lauf- und flugunfähig gemacht. „Diese Lausbuben, … frech wie Dreck, …“ schimpfte die Frau und mir wurde klar, wie die Taube in diese Situation hineingeraten sein musste. „Haben Sie vielleicht ein Messer?“ Hatte ich natürlich nicht. Ich hatte nur meine Kamera dabei und die half jetzt nicht wirklich. Also sprang ich kurzentschlossen auf und schlug vor, im näheren Umkreis nach einem Messer oder einer Schere zu fragen.
Das Fahrrad erwies sich dabei als sehr praktisch und so wurde ich relativ schnell fündig: in einem Eiskaffee 200 m vom Platz entfernt borgte man mir nach langem Zögern und mehrfachen Versprechen meinerseits, dass ich auch wiederkommen würde, endlich eine Schere. Schnell zurück zur alten Dame, die geduldig und voller Vertrauen in meine Beschaffungskünste auf meine Wiederkehr gewartet hatte und in Windeseile war die Taube von ihrem Handicap befreit.
Ach ja, und für einen Schnappschuss lang wurde die Taube dann doch noch festgehalten. Aber das hat sie sicher gerne getan.