Am 09.05.2018 sind wir, von Australien kommend, in Argentinien Nordost gelandet. Hier begann unsere Radreise durch Südamerika. Die Streckenplanung für diesen Kontinent war nicht so einfach, weil zum Teil riesige Entfernungen zwischen den sehenswerten Passagen liegen und weil man stets ungünstige Jahreszeiten entlang der Reiseroute vermeiden muss.
Und das erste Abenteuer begann auch schon, da waren wir noch gar nicht in Argentiniern angekommen:
Wir hatten über Warm Showers eine Bleibe für die ersten Tage in Buenos Aires arrangiert. Und unser Gastgeber hatte vorgeschlagen, uns am Flughafen mit dem Auto abzuholen und nach Hause zu fahren. Allerdings hatte unser Kontakt angeblich keinen Führerschein. Und seine Frau wäre am 09.05. verhindert. Da waren wir gespannt, wie das geplante Treffen am Flughafen ablaufen würde.
Unsere Tipps für Radreisen in Argentinien.
Unsere Erlebnisse in Argentinien:
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Unsere Route Argentinien Nordost auf OpenStreetMap
Mittwoch, 09.05.18
Mit dem Doppelflug aus Sydney über Auckland nach Buenos Aires hatte alles reibungslos geklappt. Auch unser Gepäck war sicher angekommen und vollzählig.
Dafür gab es Probleme mit unserem Smartphone. Die externe Speicherkarte wurde nicht mehr erkannt. Und damit waren alle Apps nicht mehr verfügbar, die wir vom internen Speicher seinerzeit auf die Speicherkarte verschoben hatten, um den knapp bemessenen internen Speicher zu entlasten. Auf dieser Speicherkarte waren auch alle Karten gespeichert, die wir für die nächsten Monate hier in Südamerika für die Navigation brauchten. Aber darum wollte ich mich später kümmern. Wir würden ja heute abgeholt.
Nach den unkomplizierten und schnellen Einreise-Formalitäten gingen wir zum Ausgang und erhofften, unseren Warm Showers Kontakt zu treffen, wie vereinbart. Bei ihm würden wir die ersten 5 Tage bleiben, um uns zunächst einmal in jeder Hinsicht auf das Land einzuschießen.
Doch unser Kontakt war nicht da. Wir hatten gestern noch per WhatsApp über Zeit und Treffpunkt gesprochen. Und jetzt kam er nicht. Wir wollten ihn anrufen, doch seine Nummer stand lediglich in einer Nachricht auf WhatsApp. Und diese App befand sich auf der Speicherkarte und die war eben gerade nicht verfügbar. Dumm gelaufen.
Über den WiFi-Zugang im Flughafen schrieb ich unserem Kontakt über die Warm Showers Website eine Mail, in der Hoffnung, dass er sie zeitnah lesen würde. Doch die Mail kam mit einer Fehlermeldung zurück: „Adresse nicht vorhanden“.
Als Nächstes suchte ich per Netbook auf dem Portal von Warm Showers nach unserem Kontakt, doch sein Profil war nicht mehr auffindbar. Der Account war gelöscht. Die Sache wurde immer dubioser.
Jetzt musste ich mich also doch mit der Speicherkarte befassen. Die Dateien waren lesbar, obwohl der Dateimanager eine Fehlermeldung anzeigte. Meine erste Vermutung war Platzmangel auf der Karte. Ich verschob einige große Dateien und Verzeichnisse von der SD-Karte auf das Netbook, doch es half nichts: Die Speicherkarte wurde im Smartphone immer noch nicht erkannt.
Dann versuchte ich, die Speicherkarte am Netbook mit unseren einfachen Bordmitteln zu reparieren. Doch nach dem ersten Versuch war die Karte gar nicht mehr lesbar. Ich gab die Speicherkarte auf.
Als letztes installierte ich WhatsApp neu auf dem internen Speicher im Handy. Das dauerte bei der Internet-Geschwindigkeit im Flughafen tatsächlich eine volle Stunde. Aber danach hatten wir immerhin die Telefonnummer von unserem Kontakt. Doch er war nicht erreichbar. Weder per Nachricht noch per Anruf.
Jetzt waren wir mit unserem Latein am Ende. Die Verabredung war geplatzt und unser Kontakt war spurlos verschwunden. Zusätzlich war unsere Speicherkarte gehimmelt und wir hatten kein Kartenmaterial und keine Möglichkeit zur Navigation mehr. Tolle Aussichten für den Start in Argentinien.
Annett ging es gar nicht gut. Ihr war schwindelig. Wahrscheinlich hatte sie zu wenig getrunken über die letzten Stunden. Während ich mich um all die Probleme gekümmert hatte, musste sie natürlich auf unser Gepäck aufpassen und konnte nicht weg, um sich etwas zu trinken zu besorgen. Als ich dann endlich zurückkam, legte sie sich erst einmal quer über die Stühle in der Ankunftshalle.
Mittlerweile war es stockfinstere Nacht und wir waren beide hundemüde. Immerhin hatten wir über die letzten 36 Stunden nur eine kurze Schlafphase im Flieger, die aber alles andere als erholsam war. Also entschieden wir uns für die Übernachtung im Flughafen. Auch den Aufbau unserer Fahrräder verschoben wir auf morgen.
Wenigstens fand sich schnell ein offizieller Übernachtungsplatz im Flughafengebäude, wo wir uns neben anderen Fluggästen niederlassen konnten. Die beiden Fahrradkartons stellten wir dabei als Sichtschutz um uns herum.
Donnerstag, 10.05.18
Nach ein paar Stunden Schlaf und einem improvisierten Frühstück bauten wir unsere Fahrräder auf und packten unsere Taschen wieder neu.
Unser Warm Showers Kontakt war immer noch nicht erreichbar. Er hatte das Telefon gar nicht mehr an seit dem 8.05.. Soviel konnten wir aus den Rückmeldungen unserer Nachrichten ablesen. Das war alles sehr merkwürdig.
Also blieben wir erst einmal im Flughafen und ich suchte über Warm Showers einen anderen Kontakt. Auf 10 Versuche gab es eine positive Rückmeldung für die kommende Woche und auch eine Einladung für heute. Glück gehabt. Denn ohne Plan für die kommenden Nächte in die Hauptstadt von Argentinien zu radeln, war keine gute Idee. Ist viel zu gefährlich, laut aller Empfehlungen, die wir von anderen Reisenden bisher bekommen hatten.
In der Zwischenzeit hatte Annett ihren Spaß in der Unterhaltung mit einer netten, älteren Dame. Sie übersetzten sich gegenseitig die Wörter in Spanisch und Deutsch.
Wir waren auf jeden Fall sehr erleichtert, so kurzfristig doch noch eine Bleibe gefunden zu haben. Doch gerade, als wir den Flughafen verlassen wollten, begann es zu regnen. Nein: es begann zu schütten. Und zwar ziemlich lange. Wir zogen unsere Regenkleidung an und warteten darauf, dass der Regen nachlässt. Das dauerte allerdings länger als eine Stunde. Und dann drängte schon die Zeit. Wir hatten mittlerweile 14 Uhr und konnten nicht einschätzen, wie lange wir bis zu unserer Bleibe fahren würden. Aber wir wussten, dass es um 17:30 Uhr dunkel wird.
So fuhren wir durch den Regen und versuchten mit einer provisorisch heruntergeladenen Karte auf dem Handy die Navigation bis in die Stadt. Es waren ca. 20 km Strecke.
Unsere erste Erfahrung im Argentinien: der Verkehr war gar nicht so gefährlich, aber die Straßenqualität war sehr rustikal: riesige Schlaglöcher, ab und zu auch mal ein fehlender Gullydeckel, ein einziges, nicht enden wollendes Bruchwerk aus Betonplatten, Asphalt-Flicken und Kopfsteinpflaster. Und alle paar hundert Meter gab es eine massive Bremsschwelle, die auch uns Radler stets zur Vollbremsung zwang. Viele Straßen hatten große Pfützen. Und wir konnten nie wirklich die Tiefe der Pfützen abschätzen, durch die wir hier fahren mussten. Es war ein Spiel mit dem Feuer.
Ich hatte auch den Eindruck, dass die Entwässerung der Straßen ein großes Problem sein musste hier in Argentinien Nordost. Überall staute sich das Wasser, es gab nicht nur große Pfützen und Wasserströme auf den Straßen, sondern auch auf dem Bürgersteig und auf den Feldern direkt entlang der Straßen.
Kurz vor der Dunkelheit erreichten wir die beschriebene Adresse und trafen unseren Gastgeber, Enrique, tatsächlich zu Hause an. Da waren wir erst einmal erleichtert.
Abends regnete es weiter, ab und zu begleitet durch Blitz und Donner. Der Donner kam dabei mit einer ungewöhnlich starken Druckwelle daher. Das sei hier wohl normal. Wir waren jedenfalls froh, jetzt nicht im Zelt schlafen zu müssen.
Freitag, 11.05.18 – Sonntag, 13.05.18
Am Freitagmorgen gab es sofort einen ersten Eindruck von der argentinischen „Mate-Kultur“: Enrique reichte uns seinen Becher Matetee. Kein gewöhnlicher Becher, sondern eine „Calabaza“, ein ausgehöhlter Flaschenkürbis mit verziertem Rand aus Metall. Auch der Trinkhalm aus Metall ist hierbei etwas Besonderes: Er nennt sich Bombilla und ist ebenfalls reich verziert. Die Calabaza machte die Runde und immer wieder goss Enrique aus einer Thermoskanne heißes Wasser nach und reichte die Calabaza weiter. Mate ist „das“ Nationalgetränk hier in Argentinien. Jetzt wussten wir auch, warum so viele Menschen hier mit einer Thermoskanne unter dem Arm über die Straße laufen.
Aus den Nachrichten erfuhren wir von den katastrophalen Überschwemmungen in der Region, die der Regen seit gestern angerichtet hatte. In La Plata, einem Ort 20 km von uns entfernt, waren die Straßen überflutet und die Bevölkerung wurde evakuiert. Es war hier wohl in 10 Stunden so viel Regen gefallen, wie sonst in 3 Monaten.
Enrique war ein Glückstreffer für uns. Er beantwortete viele unserer Fragen und half uns bei einigen Besorgungen. Und es war diesmal verdammt viel zu klären. So organisierte er für uns den Umtausch unserer US-Dollar in argentinische Peso auf dem Straßenmarkt zu einem sehr guten Kurs, zeigte uns einige Lebensmittelgeschäfte und half beim Einkauf und bei der Übersetzung. Unsere Spanisch-Kenntnisse reichten bei weitem noch nicht für eine brauchbare Kommunikation.
Zufällig war er beruflich im Computer-Service tätig und konnte uns bei der Analyse der defekten SD-Speicherkarte helfen. Allerdings war das Ergebnis nicht sehr positiv: Die Speicherkarte war irreparabel beschädigt. Und es waren nur noch wenige Dateien über ein Backup zu retten.
Eine neue Speicherkarte konnten wir dann auch bei Enrique zu einem guten Tarif kaufen. Das ersparte mir zumindest eine zeitraubende Sucherei in den Straßen dieser Mammutcity.
Annett nutze den Aufenthalt in der Stadt, um sich mal wieder von einem Profi die Haare schneiden zu lassen. Enrique begleitete sie dabei. Das wurde tatsächlich ein Erlebnis:
Von innen öffnete eine andere Kundin sofort die Türe zum Friseur und begrüßte sie mit einem „Wangenkuss“ auf beide Seiten. Danach wurde sie auf die gleiche Art vom Friseur selber und auch von allen anderen Kunden herzlich begrüßt. Nun wollten alle erst einmal etwas über unsere Fahrradreise wissen und Enrique übersetzte dabei alles ins Spanische.
Über den gesamten Aufenthalt blieb es ein Wetteifern in der Freundlichkeit. Der Friseur unterbrach sogar seine Arbeit, um nur mal eben zu zeigen, wo sich die Toiletten befinden. Auch wenn ein Kunde sich verabschiedete, gab es wieder den obligatorischen Wangenkuss. Es ging hier zu wie in einer großen Familie.
Annett war begeistert. Nicht nur von dem perfekten Haarschnitt, sondern vor allem über den herzlichen Umgang. Ein unvergessliches Erlebnis.
Am Sonntag verabschiedeten wir uns von Enrique und fuhren Richtung Zentrum von Buenos Aires. Dort hatten wir eine andere Bleibe organisiert, allerdings erhielten wir erst in allerletzter Minute eine Zusage. Wir hatten noch keine argentinische SIM-Karte fürs Telefon und waren auf eine WiFi-Verbindung angewiesen für die Kommunikation. Ohne Bestätigung wäre nur noch ein Hostel oder ein Hotel infrage gekommen.
Montag, 14.05.18 – Mittwoch, 23.05.18
Normalerweise reichen die ersten beiden Tage in einem neuen Reiseland, um alle Besorgungen zu erledigen. Geld beschaffen, SIM-Karte organisieren, Spiritus und Proviant kaufen, usw. Doch hier in Argentinien lief einiges anders.
Die Bargeld-Beschaffung
Alleine das Thema Bargeld-Beschaffung am Geldautomaten bescherte mir einige graue Haare. Zunächst war es schwierig, Automaten zu finden, die unsere VISA-Kreditkarte akzeptierten. Denn auf den Automaten ist das nicht per Schild oder Aufkleber ausgewiesen und das Personal war oft ahnungslos.
Da war schon der Hinweise eines Bankers wertvoll, dass wir auf das „Banelco“-Zeichen achten sollten. Dann würde unsere VISA-Karte angenommen.
Viele Banken haben auch relativ niedrige Obergrenzen für die Bargeld-Beschaffung: 700 oder 1000 Peso, das sind gerade einmal 30 €. Dafür nehmen sie dann aber satte Gebühren für jede Transaktion. Da neigt man zu größtmöglichen Abhebebeträgen.
Demgegenüber muss man aber den Wertverfall des Peso im Auge behalten: in nur 5 Jahren ist sein Wert gegenüber dem Euro um ca. 500 % gesunken. Das sprach wiederum für eine möglichst späte Beschaffung kleinerer Beträge.
In den meisten Bankfilialen spricht kein Mitarbeiter Englisch. Lediglich im Bankenzentrum von Buenos Aires hat man da mehr Glück. Allerdings wird die Fahrt per Fahrrad ins Zentrum schnell zur Odyssee: Alle Straßen sind verstopft, man atmet ständig Abgase ein und Busse und Taxis rücken einem sehr dicht auf die Pelle im fließenden Verkehr. Auf vielen Straßen findet sich noch altes Kopfsteinpflaster. Und ich hatte dann auch zufällig noch einen Regentag erwischt, als ich mich auf die Suche nach der richtigen Bank machte.
Der Hinweis eines Bankers auf einen Geldautomaten, an dem man US-Dollar ziehen könne, erwies sich als Flop. Das wäre mir am liebsten gewesen, um den Wertverlust über die nächsten Monate auszuschließen. Doch in der Filiale ließ man mich dann erst gar nicht zu dem betreffenden Geldautomaten durch.
Zwei Tage später erhielt ich von einer anderen Bank das gleiche Angebot: ein Geldautomat mit US-Dollar. Diesmal ließ ich mir die Erlaubnis zur Nutzung telefonisch bestätigen, um nicht erneut den Weg umsonst anzutreten. Und tatsächlich bekam ich Zugang zum Automaten, doch die Transaktion wurde stets als unzulässig abgebrochen, ganz gleich, welchen Betrag ich auch wählte.
So blieb uns für die ersten Tage lediglich der Umtausch unserer Dollar-Barreserven auf der Straße. So waren wir wenigstens zahlungsfähig. Aber lange würden wir es auf diese Art nicht durchhalten. Alleine in den ersten zehn Tagen gingen umgerechnet 200 US-Dollar über die Theke. Da wären unsere Barbestände schnell aufgezehrt. Argentinien entpuppte sich als teures Reiseland mit schwierigsten Bedingungen bei der Geldbeschaffung.
Die anderen Besorgungen in Buenos Aires
Auswahl und Beschaffung einer SIM-Karte waren ebenfalls nicht einfach. Meine Spanisch-Kenntnisse reichten bei weitem nicht aus, um alle Konditionen der einzelnen Produkte in Erfahrung zu bringen. Es war auch hier wieder Glückssache, einen Mitarbeiter mit englischen Sprachkenntnissen zu finden.
Briefe oder Postkarten in die Heimat kosteten in der preiswertesten Versandart 3,40 €. Allerdings erlebte Annett auf dem Weg zur Post eine kleine spannende Geschichte: Sie fragte einen Passanten in der abendlichen Dunkelheit nach dem Weg zur Post. Als es schon zu spät war, bemerkte sie, dass der Mann stark angetrunken war. Aber er war hilfsbereit und beschrieb ihr den Weg. Sie lief los und bemerkte plötzlich, dass der angetrunkene Mann hinter ihr herlief. Das wird böse enden, dachte sie. Doch tatsächlich wollte der Mann ihr lediglich mitteilen, dass die Post jetzt schon geschlossen hätte und er zeigte ihr ein anderes Geschäft, wo sie den Brief dann noch abgeben könnte.
Bei den Fahrradketten und Batterien lohnte sich auf jeden Fall der Preisvergleich zwischen den verschiedenen Läden, sonst wäre ich deutlich mehr Geld für schlechtere Ware losgeworden. Aber die richtigen Shops muss man erst einmal finden. Das geschah in meinem Fall mehr per Zufall im Vorbeifahren auf dem langen Weg zu den Banken im Zentrum.
Zum Wäschewaschen konnten wir zwar die Waschmaschine unseres Gastgebers nutzen, doch da musste man mit einem Holzlöffel immer ein wenig nachhelfen, damit die obenauf schwimmende trockene Wäsche auch wirklich ins Waschwasser getaucht wurde. Etwas außergewöhnlich, aber immer noch einfacher, als unsere Handwäsche.
Der Weg aus unserer Unterkunft bis auf die öffentliche Straße war ebenfalls bemerkenswert: Es gab 3 Türen zu überwinden, wobei das Handling mit den massiven, übergroßen Schlüsseln einem den Eindruck vermittelte, dass man sich hier wie in einem Gefängnis von einer Schleuse zur nächsten durcharbeitete. Den passenden Schlüssel und die richtige Bartseite zu finden, war da immer ein kleines Suchspiel. Und das Öffnen klappte nur selten auf Anhieb, weil der Schlüsselschaft nicht immer kerzengerade oder das Schloss schon ziemlich abgenutzt war. Bei einer Türe auf dem Hof zum Beispiel half nur noch der Besenstiel als Schlüsselersatz.
Bei nächtlicher Dunkelheit kamen dann auch noch ein paar Stolperfallen in den schmalen Gängen hinzu: zum Beispiel ein umgekippter Blumentopf und Pflanzenwurzeln, die aus der Wand wuchsen. Licht gab es wohl früher einmal.
Unsere Unterkünfte
Sehr dankbar waren wir für die Freizügigkeit der gefundenen Warm Showers Kontakte hier in Buenos Aires. So konnten wir uns in mehreren Schritten vom Flughafen aus langsam nach Norden durch die Metropole arbeiten und bei allen Kontakten für 2 oder mehr Nächte bleiben. Das gab uns den notwendigen zeitlichen Spielraum, um all die Jobs zu erledigen.
Unser Eindruck von Buenos Aires
In diesen Tagen sammelten wir auch Eindrücke von dieser Weltstadt Buenos Aires am Rio de la Plata. Je größer eine Metropole, desto höher sind ja in der Regel die Erwartungen bei den anstehenden Besichtigungen. Doch in Buenos Aires gibt es nicht viele Objekte, die man als wahre Sehenswürdigkeit im klassischen Sinne einordnen würde. Es sind vielmehr die krassen Gegensätze zwischen arm und schön, zwischen trist und bunt oder zwischen Hochkultur und Kriminalität, die einen hier in den Bann ziehen.
Vieles erlebt oder entdeckt man dabei rein zufällig auf dem Weg durch die Stadt. Die ausgefallene Architektur und so manche Kathedrale verstecken sich oft in den endlosen Häuserschluchten, ebenso wie die wenigen kleinen, tatsächlich liebevoll gestalteten Privathäuschen. So findet man ungewöhnlich scharfe Kontraste im Stadtbild.
Die Einheimischen haben uns natürlich gezielt die Adressen einiger Highlights genannt, die wir dann auch zu besichtigen „versucht“ haben. Zum einen war uns dabei das Fahrrad als Fortbewegungsmittel ein dienlicher Gehilfe beim Entdecken der oben erwähnten, versteckten Highlights, zum anderen war aber damit auch ein stetiger urbaner Kampf durch Verkehr und Baustellen, über Kopfsteinpflaster und durch das Einbahnstraßensystem der Stadt verbunden.
Und immer saß uns dabei die Befürchtung im Nacken, nicht rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder in unserer „sicheren“ Bleibe einzutreffen. Denn die Kriminalität ist in manchen Stadtvierteln unberechenbar und kommt im Schutz der Dunkelheit voll zur Entfaltung. Das wollten wir den Einheimischen sofort ohne Einschränkung glauben. Wir wären auch wohl nicht die ersten Reisenden, die auf offener Straße beraubt würden.
Auch auf die Fahrräder mussten wir achten, wie in keinem anderen Reiseland zuvor. Einem unserer Gastgeber hier hatten sie wohl innerhalb von nur einer Minute das Fahrrad gestohlen, obwohl er es mit einem Schloss an einen Laternenpfahl geschlossen hatte. Folglich sind die Kriminellen hier offensichtlich mit „großem Besteck“ unterwegs.
Der Rio de la Plata ist tatsächlich weniger ein Fluss als vielmehr der riesige Mündungstrichter der beiden Flüsse Rio Paraná und Rio Uruguay. Man kann vom Ufer aus weder das gegenüberliegende Ufer in Uruguay noch den Übergang vom Mündungstrichter ins offene Meer ausmachen.
Unsere Besichtigungen in Buenos Aires
Die beiden Friedhöfe der Stadt „Cementerio de la Chacarita“ und „Cementerio de la Recoleta“ sind tatsächlich echte Highlights.
Cementerio de la Chacarita:
Dieser Friedhof erstreckt sich auf gut einen Quadratkilometer und besteht aus 2 Etagen. Direkt hinter dem Eingangsportal, einem Monumentalbau mit stämmigen Säulen, befinden sich derart viele Mausoleen, dass sie im Gesamtbild wie ein kleines Stadtviertel wirken. Dahinter befinden sich einfache Gräber, zum großen Teil mit einfachen Holzkreuzen und reichlich Blumenschmuck. Und unter der Erde erstrecken sich 2 weitere Ebenen: ein riesiges Gangsystem mit Schiebegräbern.
Cementerio de la Recoleta:
Dieser Friedhof ist kleiner und überschaubarer, doch nicht weniger interessant als der Cementerio de la Chacarita. Auch hier reihen sich die großen Mausoleen zu ganzen Straßenzügen aneinander und auch hier ruhen Persönlichkeiten, unter anderem auch Evita (Eva Duarte de Perón), die weltbekannte, ehemalige First Lady Argentiniens.
Der Obelisco
Der Obelisco am Plaza de la Republika: er ist 67 m hoch und wurde 1936 erbaut. Er ist nicht besonders schön, aber durch die schnurgeraden Straßenzüge schon aus mehreren km Entfernung zu erkennen. Das erleichtert einem die Orientierung im Zentrum. Eine dieser Straßen ist auch die Avenida 9 de Julio, angeblich die breiteste Straße der Welt.
Der Plaza de Mayo
Ein ähnlicher Obelisk befindet sich auf dem Plaza de Mayo, dem ursprünglichen Stadtzentrum. Hier befinden sich einige Monumentalgebäude des öffentlichen Lebens. Leider war das gesamte Gelände als Großbaustelle eingerüstet. Und der massive Verkehr presste sich durch die verengten Durchfahrten und ließ uns kaum Spielraum für ausgiebige Besichtigungen, geschweige denn zum Fotografieren. Auch der Baustaub setzte uns beim Atmen ordentlich zu, sodass wir schnell das Weite suchten.
So nahmen wir die vielen umsäumenden Gebäude lediglich im Vorbeifahren in Augenschein: den Cabildo (ein ehemaliger Regierungssitz), der Palacio Municipal (das Rathaus), die Casa Rosada (der Palast des Präsidenten) und die Catedral Metropolitana (der Sitz des Erzbischofs).
Weitere Sehenswürdigkeiten
Im Stadtviertel Palermo findet man ausgedehnte Parkanlagen, unter anderem den Zoo (Ecopark), den Japanischen Garten und den Botanischen Garten. Alle Anlagen sind sehr gepflegt und man findet viele Skulpturen oder Brunnen.
Inmitten der Parks steht auch das Planetario Galileo Galilei, in dessen Eingang man einige tonnenschwere Meteoriten besichtigen kann.
Läuft man am Flussufer entlang weiter Richtung Süden, findet man den Dreimaster ARA Fragata Uruguay aus dem 20. Jh. und die markante Brücke „Puente de la Mujer“, dessen filigrane Konstruktion das gestreckte Bein einer Tango-Tänzerin andeutet.
Das Reservat Ecologica Costanera Sur war leider geschlossen, lediglich der vorgelagerte Teich mit dem riesigen Pflanzenteppich auf der Wasseroberfläche war zu sehen. Im Nachhinein erfuhren wir, dass diese grüne Oase lediglich montags geschlossen ist (das war genau unser Besichtigungstag).
Weiter im Süden der Stadt entdeckt man am Rio Riachuelo die gigantische Stahlkonstruktion der Schwebefähre „Transpordador del Riachuelo“, die von 1914 bis in die 60er Jahre betrieben wurde. Sie wurde restauriert und ist heute als Kultur-Denkmal geschützt.
Nur wenige hundert Meter weiter westlich findet man die Calle Caminito im Stadtviertel La Boca: bunte Häuser und viel Fassade für den Touristen in einem sonst ärmlichen, gefährlichen Umfeld. Ohne Frage einen Besuch wert, wenn auch so manches Angebot entlang der Gasse sehr inszeniert daher kommt. Das Geld der Touristen ist halt begehrt.
Westlich der Calle Caminito geht es weiter mit viel Mural Art: Die Fassaden-Malerei im Stadtviertel Barracas westlich von La Boca ist eine Fundgrube, ähnlich der Stadt Georgetown auf der Insel Penang in Malaysia.
Einige alte Kirchen findet man inmitten der engen Häuserschluchten:
Die Basilika Nuestra Senora de la Merced aus dem 18. Jh. (im heutigen Bankenviertel).
Die Kirche Parroquia San Pedro Gonzalez Telmo aus dem 18. Jh. Eine der ältesten Kirchen in Buenos Aires.
Der argentinische Nationalkongress am Plaza Marina Moreno beheimatet das Parlament Argentiniens. Unweit davon befindet sich der Palacio Barolo: Dieses Bürogebäude aus dem Jahre 1923 war mit seinen 100 m Höhe seinerzeit das höchste Gebäude Südamerikas. In seiner Spitze befindet sich sogar ein Leuchtfeuer.
Für eine nähere Besichtigung anderer Entdeckungen fehlte uns leider die Möglichkeit, aus dem pausenlos fließenden Verkehr auszuscheren und anzuhalten.
Die Straßen in Buenos Aires
Die Großbaustelle am Plaza de Mayo war nicht die einzige im Zentrum der Stadt. Der anstehende G20-Gipfel warf unübersehbar seine Schatten voraus. Ende November dieses Jahres sollte hier alles blinken und blitzen. Und wir hatten jetzt zufällig wieder genau das Zeitfenster mit den Renovierungsaktivitäten für unseren Besuch in der Hauptstadt erwischt. Es erinnerte uns an den Besuch in Taschkent, der Hauptstadt von Usbekistan in 2016. Seinerzeit liefen die Vorbereitungen für das Treffen der SCO mit Putin und Co auf Hochtouren und so gab es für uns Radler dort massive Einschränkungen im Straßenverkehr.
Buenos Aires hat tatsächlich einen unglaublichen Nachholbedarf in der städtebaulichen Gestaltung. Viele Straßen haben noch das alte Kopfsteinpflaster, es gibt abgrundtiefe Löcher und Risse in der Straßendecke, vieles wirkt sehr heruntergekommen und ungepflegt. Es gibt kaum frische Farbe an den Fassaden und Botanik findet man nur in den kleinen Parks, die sich in dem endlosen Straßenraster verstecken.
Mittwoch, 23.05.18 – Freitag, 25.05.18
Am Mittwoch verließen wir Buenos Aires Richtung Norden. Dachten wir zumindest. Doch tatsächlich fuhren wir nur ein Stück weiter Richtung Norden durch das Ballungsgebiet Buenos Aires.
Besonders zu schaffen machten Annett hier im Einzugsgebiet der Stadt die vielen öffentlichen Busse und Taxen. Sie wurde mehrere Male regelrecht zur Vollbremsung gezwungen, weil die Busse nach dem Überholen oft sofort in die Eisen stiegen, um am Straßenrand wartende Fahrgäste aufzunehmen. Oft wurde sie dabei zwischen mehreren Bussen eingekeilt. Als sie sich zwischen den wartenden Autos an der Ampel durchquetschte, berührte sie einmal auf beiden Seiten mit ihren Packtaschen auch noch die Kotflügel der Fahrzeuge.
Abseits der Hauptstraße holpert man dann mit dem Reiserad über dieses grobe Bruchsteinpflaster, wobei die Unterarme wie Stoßdämpfer durchgeschüttelt werden. Auch nicht sehr angenehm. Besonders gemein sind auf diesen Straßen immer wieder tiefe Schlaglöcher, die man vor allem bei Dunkelheit nicht rechtzeitig erkennt. Annett fuhr dann auch einmal aus Versehen durch ein solches Schlagloch, sehr schmerzhaft.
Auffallend waren für uns auch die großen, leeren 5-Liter-Wasserflaschen, die an den Bäumen hingen. Hier sammelten sie die Plastikverschlüsse von den Einweg-Getränkeflaschen, damit sie nicht auf der Straße herumliegen. Sehr originell und bunt.
Unser Gastgeber für die kommende Nacht bot uns direkt einen Pausentag an und empfahl uns, am 24.05. nicht zu radeln. Der Verkehr wäre wegen des Feiertages am 25.05. zu gefährlich. So blieben wir 2 Nächte und unternahmen am Donnerstag einen kleinen Ausflug ans Ufer des Rio de la Plata. Von hier hatte man einen tollen Blick auf die Skyline von Buenos Aires. Auch den Abgas-Dunst über der Hauptstadt konnte man sehr gut erkennen.
Auch lernten wir wieder einige Spezialitäten der argentinischen Küche kennen: Milanesa (dünne, panierte Lendenscheiben vom Rind), Dulche de Leche (eine süße Karamelpaste) und Alfajor (ein Doppelkeks mit Schokofüllung) hatte unser Gastgeber im Programm. Vor allem Dulche de Leche erweckte bei Annett Kindheitserinnerungen. In ihrer Jugend kauften sie oft die süße Milch in Tuben in der Tschechoslowakei.
Am 25.05. fuhren wir weiter Richtung Zarate im Norden. Das Ballungsgebiet Buenos Aires hatten wir damit aber noch lange nicht verlassen. Wenn es auch immer öfter Grünflächen zwischen der Bebauung gab.
Der Verkehr hielt sich heute tatsächlich in Grenzen. Denn heute war großer Nationalfeiertag in Argentinien: „Dia de la Patria“. An diesem Tag hatte die Mairevolution in 1810 die Unabhängigkeit von Spanien eingeleitet. Tatsächlich war Argentinien aber erst am 09.07.1816 ein freies Land. Auch das wird hier jedes Jahr gefeiert: „Dia de la Independencia“.
Auf jeden Fall waren wir froh, für die kommende Nacht wieder einen Warm Showers Kontakt arrangiert zu haben. Denn wir passierten auf unserem Weg so einige kritische Siedlungen. Hier und da sprang uns ein Hund an und fletschte die Zähne, die Häuser wirkten heruntergekommen und die Bewohner musterten uns im Vorbeifahren mit sehr interessiertem Blick auf unsere Fahrräder und das Gepäck. Das war schon etwas unheimlich.
Unser Kontakt wohnte ganz in der Nähe solcher Siedlungen, allerdings gut abgeschirmt in einem eingezäunten Wohnpark mit Kamera-Überwachung, Stacheldraht und einem Security-Service im Zugangsbereich. Dort mussten wir uns auch zunächst anmelden. Und das gestaltete sich schwieriger als erwartet:
Wir hatten die Vornamen unserer Gastgeber, deren Adresse und deren Telefonnummer. Doch der Wachdienst wollten den Nachnamen wissen. Den hatte ich mir natürlich nicht notiert. Warum sie nicht die Telefonnummer wählen wollten, die ich ihnen anbot, war mir schleierhaft. So gab es erst einmal viel Palaver und der Einlass wurde uns verweigert.
Mittlerweile hatte sich hinter uns an der Schranke schon eine Warteschlange gebildet. Und zufällig sprach die Dame im Auto direkt hinter uns englisch und bot sich an, zu übersetzen. Wir erklärten alles und die Dame gab dem Sicherheitspersonal klare Anweisungen. Einer griff nun doch zum Telefon und nach dem Gespräch waren wir dann zugelassene Gäste und durften in den Wohnpark einfahren. Sie gaben uns jetzt sogar noch einen Lageplan mit auf den Weg, obwohl wir die GPS-Position des Hauses schon kannten. Und zumindest einer der drei Offiziellen entschuldigte sich zum Abschied noch für die entstandenen Unannehmlichkeiten.
Samstag, 26.05.18
Auf unserem Weg lag heute das „Quo Container Center“ in Ingeniero Maschwitz, einer Provinz im Norden von Buenos Aires. Es war die Empfehlung eines Einheimischen und der Besuch hat sich wirklich gelohnt.
Hier wurden über 50 ausrangierte Übersee-Container zu einem originellen Shopping- und Gastronomie-Zentrum zusammengestellt. Dabei haben sie die Container in 3 Ebenen jeweils versetzt zueinander platziert und in den Zwischenräumen geschwungene Terrassen und Aufgänge integriert. Es gibt große Sonnensegel, viel Licht, eine sehr kreative farbliche Gestaltung und eine große Menge an Skulpturen aus Stahlschrott. Sie gewinnen Strom aus Fotovoltaik-Anlagen, haben Grünflächen auf den Dächern als Wärmedämmung und energiesparende Beleuchtungstechnik. Für die Kinder haben sie Klettergerüste aus Holzpaletten und Sticken errichtet und selbst aus einigen hundert ausrangierten Türschlüsseln haben sie ein Kunstwerk errichtet. Auch die gewachsene Botanik haben sie respektvoll in die Gesamt-Gestaltung integriert.
Das Motiv für die Erschaffung dieses Komplexes lässt sich aus all diesen kleinen Puzzle-Stückchen schnell ableiten: Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung in der Bautechnik. Ein gelungenes Projekt. Sehr beeindruckend und sehr sehenswert.
Nicht weit davon entfernt gab es einen mobilen Brotverkauf, der auch kerniges Mehrkornbrot nach deutschem Rezept im Angebot hatte. Das nahm Annett direkt zum Anlass, um sich mit der Verkäuferin über die beruflichen Parallelen in ihrer Familie auszutauschen. Ihr Großvater war schließlich ebenfalls Bäcker. Und so dauerte es gar nicht lange, da bekam Annett eine Schürze umgebunden und stand plötzlich selber mitten im Verkaufsstand. Die beiden hatten ihren Spaß.
Sonntag, 27.05.18
Heute wollten wir weiterfahren bis nach Zarate. Und weil somit ca. 70 km monotone Ebene vor uns lagen, war das die erste Chance, es mal mit Trampen zu versuchen hier in Argentinien.
Und es klappte erstaunlich gut: nach 15 Minuten hielt ein Pickup und der Fahrer, Juan, fuhr zufällig nach Zarate und konnte uns mitnehmen. Nach unserem Bauchgefühl machte er auf uns direkt einen seriösen, gefahrlosen Eindruck (das war uns sehr wichtig im Hinblick auf unsere Sicherheit).
Unterwegs bot Juan uns sein Haus in Zarate für eine Übernachtung an und wollte uns zum Essen einladen. Doch wir winkten dankend ab. Denn Essen hatten wir genug dabei und einen Warm Showers Kontakt in Zarate hatten wir ebenfalls schon arrangiert.
Lediglich die fehlende Heckklappe auf der Ladefläche machte mir etwas Sorgen. Wir hatten zwar beide Räder mit einem Seil an die Reling gebunden, doch die Packtaschen ließen sich so nicht fixieren. Unser Fahrer fuhr aber tatsächlich so behutsam, dass nichts verloren ging.
In Zarate endete unsere Fahrt dann mit einer kleinen Stadtbesichtigung, denn Juan zeigte uns mit Stolz Rathaus, Stadtzentrum, Einkaufsmeile, das Theater und die große Tango-Tanzarena.
So wurde unsere erste Tramp-Aktion in Argentinien Nordost ein durchweg positives Erlebnis und gab uns die Hoffnung, für die weiten Strecken auf diesem Kontinent nicht ausschließlich auf Bahn oder Bus zurückgreifen zu müssen.
Wir nutzten die verbleibende Zeit bis zur Dunkelheit noch für einen Abstecher ans Flussufer, wo sich die halbe Stadt zum Asado (dem argentinischen Barbecue) oder einer Runde Matetee niedergelassen hatte. Wir waren dann ebenfalls auf einen Schluck aus der Calabaza eingeladen und probierten einige Spezialitäten von den mobilen Garküchen.
Als wir dann später in der Stadt auf unseren Warm Showers Kontakt warteten, sahen wir das erste Mal einen Kolibri in freier Natur. Das war ein Erlebnis. Wenn dieser Vogel auch so flink ist, dass man ihm per Auge kaum richtig folgen kann. Ganz zu schweigen vom Fotografieren oder Filmen.
Den Haushund bei unserem Gastgeber hatte Annett sofort ins Herz geschlossen und als sie einmal nicht aufpasste, leckte er sie nicht nur an den Zehen, sondern auch im Gesicht ab. Annett kochte für alle und unser Gastgeber spendierte 2 verschiedene Sorten von seinem selbstgebrauten Bier.
Montag, 28.05.18 – Dienstag, 29.05.18
Es war Regen gemeldet und da verlängerten wir unseren Aufenthalt um eine 2. Nacht. Am Dienstag verließen wir Zarate Richtung Iguazú und stellten uns direkt am Ortsausgang als Anhalter an den Highway. Es dauerte heute etwas länger, bis ein Lkw hielt und uns mitnahm. Er fuhr uns bis Gualeguaychu, das waren 130 km Strecke. Immerhin. Bei dem heftigen Gegenwind heute hätte uns das 2 – 3 Tage Fahrzeit gekostet. Und auf dem Highway gab es überwiegend keinen Seitenstreifen und nur 2 schmale Fahrspuren. Das wäre sehr gefährlich gewesen, per Fahrrad.
Weil uns das Risiko, in die Nacht zu kommen, zu groß war, blieben wir in Gualeguaychu und gingen auf die Suche nach einem Schlafplatz. Die Feuerwehr (Bomberos) war dabei unsere erste Adresse. Doch die lehnten direkt ab. Sie hätten keinen Platz. Schade. Die Bomberos werden unter Reiseradlern immer als sichere Adresse empfohlen. Doch da hatten wir jetzt wohl den Falschen gefragt.
Als nächstes kontaktierten wir Warm Showers Mitglieder. Doch das wurde sehr anstrengend und zog sich bis in die Dunkelheit: Der erste Kontakt war selber gerade in Europa per Fahrrad unterwegs, der zweite antwortete nicht und einen dritten trafen wir zwar an und er konnte uns nicht aufnehmen, weil das Haus der Eltern aus familiären Gründen gerade nicht zur Verfügung stand. Das sah dann tatsächlich nach einer nächtlichen Suche nach einem Zeltplatz am Stadtrand aus.
Doch dann stand plötzlich der Vater in der Tür und signalisierte, dass er doch eine Lösung hätte: Das Apartment hinter dem Haus der Eltern stand gerade leer. Glück gehabt. So wurde es doch noch ein angenehmer Abend mit einem sicheren Stellplatz für unsere Fahrräder.
Mittwoch, 30.05.18 – Freitag, 01.06.18
Gut, dass wir gestern Abend nicht das Zelt aufbauen mussten. Denn seit den frühen Morgenstunden regnete es fast pausenlos 2 Tage lang. Da kam uns das spontane Angebot sehr recht, unseren Aufenthalt im Haus entsprechend zu verlängern.
Das war auch die Gelegenheit, sich ausgiebig mit den Neuerungen der DSGVO auseinander zu setzten. Als Blogbetreiber waren wir ja hier auch in der Pflicht und mussten einige Punkte auf der Website umstellen. Im Hinblick auf die neuen Vorgaben für digitale Fotografie waren wir allerdings etwas ratlos. So war es ab dem 25.05.2018 ja nicht mehr erlaubt, Personen ohne Erlaubnis per Digitalkamera abzulichten, weil man damit schon persönliche Daten der abgelichteten Personen speichert. Und wir waren nicht die einzigen Blogger, die sich hier massive Sorgen um ein Abmahnungs-sicheres Verhalten in Sachen Personenfotografie machten. Das Thema DSGVO dominierte die Kommunikation unter den Bloggern in diesen Tagen im Netz. Das war nicht zu übersehen.
Am Freitag verließen wir Gualeguaychu bei trockenem Wetter. Den großen Regen hatten wir wohl überstanden. Die Temperatur war allerdings deutlich gesunken: 16 °C.
Wir versuchten wieder zu trampen, doch das wollte heute gar nicht gelingen. Es war nicht viel Verkehr auf der Straße und zu 70 % waren es vollbeladene Trucks, die an uns vorbeizogen.
Nach einer Stunde fuhren wir dann doch per Fahrrad weiter. Vielleicht klappt es ja während dem Radeln, wenn ich den Daumen in die Luft halte. Ich suchte mir noch ein Stück Karton und schrieb in großen Lettern unseren Zielort „Iguazú“ darauf. Doch all das half nichts. Ein Wohnmobil hielt, hatte aber zu wenig Platz. Und ein Lkw hätte nur einen von uns mitnehmen können, weil es nicht mehr Sicherheitsgurte gab.
Bis Iguazú waren es noch ca. 1200 km Strecke durch eher monotone Landschaft. Es gibt entlang der Strecke auch nicht viele Städte oder Dörfer. Da muss man per Fahrrad schon aufpassen, dass man nicht auf halber Strecke in die Dunkelheit gerät.
Zum Glück hatten wir heute aber Rückenwind. Und der schob uns mit einem Stundendurchschnitt von 19 km/h den öden Highway entlang. So kamen wir letztendlich auf stattliche 77 km Strecke in nur 4 Stunden und knackten die 29.000 km-Marke auf unserer Radreise.
Deutlich vor der Dunkelheit erreichten wir Concepcion del Uruguay, wo wir uns zur Feuerwehr (Bomberos) durchfragten. Und tatsächlich durften wir bleiben und bekamen ein Zimmer mit Etagenbetten angeboten.
Nachdem wir alle Fragen zu unserer Herkunft und unserer Radreise beantwortet hatten, waren wir zum Dinner eingeladen und durften an den aus Deutschland importierten Feuerwehrfahrzeugen im Fuhrpark alle Ventil- und Schalter-Beschriftungen von deutsch auf Spanisch übersetzten.
Beim Duschen gab es allerdings ein unangenehmes Intermezzo:
Annett stand gerade unter der heißen Dusche, da fiel plötzlich der Strom im ganzen Haus aus. Annett schrie sofort laut auf, weil jetzt natürlich nur noch eiskaltes Wasser aus der Brause schoss. Und sie konnte dem Strahl so schnell nicht ausweichen, weil die Dusche sehr eng und der Boden rutschig war. Natürlich war auch die Beleuchtung ausgefallen und sie stand nun in stockfinsterer Dunkelheit.
Zum Glück war ich gerade im Nachbarraum und wusste ziemlich genau, wo ich meine Stirnlampe hingelegt hatte vor einer Stunde. So konnte ich wenigstens schnell ein Notlicht organisieren. Mit der angenehmen Dusche war es für Annett aber auf alle Fälle vorbei.
Nach einer halben Stunde ging das Licht wieder an und das Stromnetz stand wieder zur Verfügung. Dumm gelaufen.
Samstag, 02.06.18
Es hatte sich weiter abgekühlt. Mit nur 13 °C wurde es langsam ungemütlich. Der argentinische Winter warf seinen Schatten voraus. Doch der Rückenwind blieb uns weiterhin treu. Und das war gut so, sonst würden wir die 88 km Strecke bis zur nächsten Stadt, Ubajay, heute nicht schaffen. Wir hätten zwar gerne wieder getrampt, doch so wie gestern hielt auch heute kein Fahrzeug.
Also radelten wir die gesamte Strecke entlang der riesigen Yerba-Mate-Felder. Dabei zehrte die Kälte schon deutlich an unserer Motivation. Wir erreichten Ubajay dann auch erst in der abendlichen Dunkelheit und waren mit unseren Kräften ziemlich am Ende.
Hier fragten wir uns direkt durch bis zur Feuerwehr. Unsere Gastgeber der letzten Nacht hatten heute Morgen schon per Telefon die Bestätigung eingeholt, dass wir hier in Ubajay auch ohne Probleme bei den Bomberos übernachten könnten.
Zufällig hatte ich im ersten Anlauf aber wohl den Falschen nach dem Weg gefragt. Denn als er mit der Wegbeschreibung fertig war, hatte ich einige Ölspuren auf dem Display unseres Handys und auf meiner Gore-Jacke. Was frage ich auch einen Kfz-Mechaniker bei der Arbeit.
Bei den Bomberos eingetroffen, war dann erst einmal doch nicht so selbstverständlich, dass wir hier übernachten könnten. Offenbar war derjenige, der den Kollegen in Concepcion del Uruguay heute Morgen am Telefon die Zusage erteilt hatte, jetzt wohl nicht mehr zugegen. Damit wurde alles etwas schwieriger. Das müsse der Chef entscheiden.
Also warteten wir zunächst einmal draußen im kalten Windzug ab und hofften, dass der Tag doch noch ein gutes Ende findet. Und tatsächlich gab es dann grünes Licht. Wir durften bleiben.
Die Betten standen direkt neben den Umkleidekabinen für die Feuerwehrleute. Da hofften wir mal darauf, dass es heute Nacht nicht einen Großeinsatz gibt.
Wir sollten direkt duschen gehen und später wären wir dann eingeladen zum gemeinsamen Dinner. Eine Stunde später war uns dann klar, warum wir sie uns direkt so enge Vorgaben gemacht hatten:
Die Halle hinter den Löschzügen war eingedeckt für eine Großveranstaltung, die 22 Uhr begann. Heute war der „Dia Nacional del Bombero Voluntario“ (der Tag des Feuerwehrmannes). Und im Laufe der nächsten 2 Stunden füllte sich der Raum mit über 100 Gästen. Dann gab es Geflügel mit allerlei Beilagen. Alles im Party-Stil und bis auf das Geflügel als Kaltspeise. In Verbindung mit den 13 °C in der Halle war das für uns erst einmal Anlass, die Winterkleidung wieder anzuziehen.
Den Rotwein trinkt man hier in Argentinien Nordost offenbar auch im Winter mit Eiswürfel. Wir wurden ganz erstaunt angeschaut, als wir die obligatorischen Eiswürfel dankend ablehnten.
Zum finalen Abschluss gab es eine Riesentorte für die Feiergäste. Und um 24 Uhr war Schluss. Wir halfen noch beim Aufräumen und dann ging es in den Schlafsack. Wir hatten in weiser Voraussicht unsere Thermarest-Matten auf die ausgeleierten Matratzen gelegt, doch wirklich viel half das nicht. Man lag durch wie eine krumme Banane.
Sonntag, 03.06.18
In der Nacht hatten wir 5 °C. Und der Vormittag war mit 8 °C auch nicht viel wärmer. Das kann ja heiter werden in den kommenden Wochen, dachte ich bei mir. Wir fuhren zwar nach Norden, doch deutlich wärmer würde es nicht werden.
Für heute standen lediglich 60 km auf dem Plan bis zur nächsten Stadt Concordia. Allerdings gab es heute keine Unterstützung durch Rückenwind. Dafür wurde die Landschaft hügeliger und die Straßen enthielten folglich mehr Steigungen.
Das Klima war heute sehr unangenehm: Es war zu kalt, um ohne dicke Jacke zu fahren, doch mit jedem Anstieg begann das große Schwitzen. Und es dauerte ewig, bis man danach wieder trocken war. Eine sehr nasse Kälte hier.
Als wir Concordia erreichten, durfte ich erst einmal wieder einen Plattfuß reparieren. Diesmal hatte sich bei Annett ein Glassplitter durchgebohrt und es war unser 30. Plattfuß seit dem Start zu unserer Radreise vor knapp 3 Jahren. Die Reparatur war zwar schnell erledigt, doch wir waren beide danach durchgefroren, weil wir die ganze Zeit im kalten Wind gestanden hatten.
Auch die Suche nach einem Schlafplatz verlief ernüchternd: bei der Feuerwehr war eine Übernachtung nicht möglich, in der Polizeistation ebenfalls nicht. Und alle drei Warm Showers Mitglieder in dieser Stadt existierten real nicht mehr als mögliche Bleibe. Es sah ganz so aus, als müssten wir das Zelt in einem der kleinen Parks aufbauen.
Ein letzter Versuch war noch die katholische Kathedrale. Wir sahen den Priester gerade noch in der Kirche verschwinden und dann war uns klar, dass wir ihn erst in einer Stunde, nach der Messe, hätten fragen können. Da waren wir vielleicht 20 Sekunden zu spät eingetroffen.
Und dann passierte etwas Unglaubliches: Ein junger Mann, Martin, sprach uns auf seinem Weg in die Kirche auf Englisch an. Ob er helfen könnte, fragte er. Ja vielleicht. Wir suchten ja einen Schlafplatz. Und da bot er uns spontan das Haus seiner Eltern an. Er wolle nur vorher der Messe in der Kirche beiwohnen, danach würden wir ihn nach Hause begleiten.
Eine Stunde später saßen wir im warmen Haus der Eltern und es begann ein netter Abend im Kreis der Familie. Für morgen war wohl Regen gemeldet und wir erhielten daraufhin prompt die Einladung für einen Pausentag. Welch sagenhafte Wendung an diesem Abend.
Montag, 04.06.18 – Dienstag, 05.06.18
Annett hatte sich wohl eine Erkältung zugezogen. Es ging ihr gar nicht gut. Da erwies es sich als glückliche Fügung, dass wir einen Pausentag beschlossen hatten. So konnte sie sich hinlegen und auskurieren, wenn es auch unmöglich war, in der vorherrschenden Geräuschkulisse zu schlafen. Denn von drei Seiten gab es Beschallung: das laute Radio mit spanischer Musik in der Küche, die endlosen Gespräche im Wohnzimmer und der Verkehr mit Gehupe auf der Straße.
Am Dienstag verabschiedeten wir uns und verließen Concordia nach einer kurzen Besichtigungstour im Zentrum. Bis zum nächsten Städtchen waren es wieder 80 km Strecke durch unbewohnte Prärie. Und als wir auf dem Highway angekommen waren, hatten wir schon 16 Uhr. Da war uns schon bewusst, dass wir heute nicht weit kommen würden.
Die letzten beiden Stunden Tageslicht nutzten wir zum Trampen, doch es lief erneut sehr frustrierend. Kein Fahrzeug wollte anhalten, obwohl die allermeisten Pickups und eine ganze Reihe Lkws ausreichend Platz gehabt hätten.
Wenn es mit dem Trampen weiterhin so schlecht läuft, müssten wir an unserem Streckenplan arbeiten. In spätestens 4 Wochen wollten wir Salta im Nordwesten von Argentinien erreichen. Das waren 1200 km Strecke durch monotone Landschaft.
Kurz vor der Dunkelheit gaben wir auf und fuhren ins nächstbeste Dorf unweit vom Highway. Dort fragten wir an der kleinen Dorfkirche im Zentrum und trafen zufällig eine Truppe Kartenspieler und auch den Vorsteher des Anwesens. Und der erlaubte uns die Übernachtung unter dem großen Vordach neben der Kirche.
Heute war großer Feiertag hier im Dorf. Es wurde dem heiligen Bonifatius gedacht. Sie zeigten uns stolz die Kirche von innen, kochten noch 2 volle Kannen heißes Wasser für uns und zeigten uns die Außenbeleuchtung, die Toiletten und die Stromzugänge. Dann schwärmten sie von der Disziplin und den anderen Qualitäten der Deutschen und wünschten uns eine gute Nacht.
Seit dem Sonnenuntergang hatte es sich wieder deutlich abgekühlt. Und in den späten Abendstunden hatten wir gerade einmal 8 °C. Vielleicht wäre es im Zelt wärmer gewesen, doch der offene Platz unter dem großen Wellblechdach versprach einen bequemeren Start in den Tag ohne Bückerei und ohne nasses Zelt. Und warme Schlafsäcke hatten wir ja.
Um 1 Uhr in der Nacht hörte ich plötzlich Wassertropfen fallen. In ziemlich regelmäßigen Abständen. Das war kein Regen, soviel war klar. Ich versuchte, zu orten, wo das Plätschern herkommt. Es klang sehr nahe, also stand ich auf und … tatsächlich: Es tropfte genau auf meinen Schlafsack. Kondenswasser lief an der Unterseite des 10 m über uns hängenden Wellblechdaches entlang und fand genau über mir den Weg nach unten.
Ich weckte Annett und suchte sofort nach einem Platz unter dem Dach, wo es hoffentlich nicht tropfen würde in den nächsten Stunden. Doch das war eher ein Spiel mit Glück und Vermutungen. So bauten wir drei Meter weiter erneut unser Lager auf und hofften darauf, dass unser neuer Platz trocken bleibt.
Blieb er natürlich nicht. Jetzt tropfte es genau auf Annetts Schlafsack. Das wäre ja zu einfach gewesen. Also mussten wir nach einer weiteren Stunde erneut umziehen. Ich sah uns schon in die benachbarte Polizeistation flüchten, doch diesmal blieb es für den Rest der Nacht ein trockener Platz. Da waren wir nochmal mit einem blauen Auge davon gekommen.
Mittwoch, 06.06.18
Bis auf unsere Flucht vor den Kondenswasser-Strömen blieb es eine ruhige Nacht. Aber die Kälte zog langsam durch den Schlafsack. Wie gut, dass wir in der Polizeistation nebenan heißes Wasser bekamen. Das ersparte uns den Aufbau unseres Kochers.
Mittlerweile war unsere Winter-Garderobe auch der Standard geworden. Und wir hofften täglich darauf, dass wir nicht mit heftigem Gegenwind zu kämpfen hätten in den kommenden Tagen bis Iguazú. Denn das würde uns schnell ans Limit bringen. Die große Strecke von Buenos Aires bis Iguazú war schon Strafe genug.
Der heutige Tag begann genau so frustrierend, wie die letzten Tage, was das Trampen betrifft. Und nach ca. einer Stunde erfolglosen Wartens wollten wir uns per Fahrrad in den heutigen Gegenwind stürzen, in der Hoffnung, das 80 km entfernte Nest Chajari noch bei Tageslicht zu erreichen.
Zufällig hielt dann in der letzten Minute vor unserem Start tatsächlich doch noch ein Lkw. Und er fuhr uns nicht nur bis Chajari, sondern noch weitere 60 km. Wir hatten lediglich eine einstündige Pause, weil unser Fahrer in der Werkstatt 2 neue Reifen aufziehen lassen musste. Kein Problem für uns.
Der Fahrer setzte uns an einer Gabelung zwischen 2 Städten ab. Die nächste Stadt lag jetzt 45 km weit entfernt und bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten wir noch 2 Stunden Zeit. Das wird knapp, dachten wir. Hier neben dem Highway wollten wir auf keinen Fall das Zelt aufschlagen, soviel stand fest.
Wir versuchten erneut, zu trampen, doch wir hatten wenig Hoffnung. Warum sollte heute zweimal etwas klappen, was an den letzten 5 Tagen gar nicht gelingen wollte?!
Doch es hielt ein Pickup und wieder nahm der Fahrer uns mit. Und auch diesmal fuhr er weiter, als wir erhofft hatten. So erreichten wir kurz vor der Dunkelheit Paso de la Libros und hatten heute in Summe 240 km Strecke hinter uns gebracht.
Das i-Tüpfelchen des Tages war dann die Zusage für eine Übernachtung bei den Bomberos (der Feuerwehr) in Paso, wenn es auch wieder erst einmal eine Zitterpartie wurde. Der Chef führte ein hartes Regiment und mit derselben Härte befragte er uns. Auch unsere Pässe wollte er sehen. Und wir waren erleichtert, als es dann doch grünes Licht gab.
Mittlerweile waren wir beide durch das ungewöhnlich kalte Wetter der letzten Tage gesundheitlich angeschlagen und freuten uns auf eine heiße Dusche und einen windgeschützten Schlafplatz im Zimmer.
Es war ungewöhnlich kalt für diese Jahreszeit, das erzählten uns die Einheimischen. Im Winter sinkt die Temperatur hier selbst des Nachts normalerweise nicht unter 13 °C. Und wir hatten jetzt erst Herbst und kämpften mit 5 °C in der Nacht.
Kurze Tage, niedrige Temperaturen und starker Wind: keine angenehme Jahreszeit für eine Radreise. Aber es half nichts; da mussten wir jetzt durch.
Donnerstag, 07.06.18
Der wolkenlose Himmel versprach warme Sonnenstrahlen, doch der kalte Wind nahm uns da schnell die Illusion. Wir verließen Paso de los Libres und fuhren zum Highway zurück. Dann versuchten wir wieder zu trampen, denn im weiteren Verlauf sollte die Straße keinen Seitenstreifen mehr haben. Das war uns zu gefährlich.
Es dauerte wieder eine Stunde, doch unsere Ausdauer wurde belohnt. Ein Pickup hielt und nahm uns mit. Und dieser Trip wurde in vielerlei Hinsicht etwas sehr Ausgefallenes:
Der Pickup zog eine schwere, alte Straßenbau-Maschine und das erlaubte gerade einmal 50 km/h Geschwindigkeit. So langsam waren wir noch nie getrampt. Wenn es auch mehr als doppelt so schnell war, wie wir mit unseren Rädern fahren.
Unser Fahrer, Gustavo, war der Sekretär vom Bürgermeister der Stadt Guaviravi. Er sprach Englisch und war zufällig Mitglied bei Couchsurfing. Und er bot uns die Übernachtung in seiner Stadt La Cruz an. Somit hätten wir 80 km Strecke geschafft und hatten einen Schlafplatz sicher. Eine seltene Konstellation auf unserer Radreise. Und der Beifahrer war kein Geringerer als der Bürgermeister selbst.
Zum Abschluss des Tages bekamen wir von unserem Fahrer dann in La Cruz noch eine Stadtbesichtigung:
Die Kirche, die Ruinen der ehemaligen Jesuiten-Reduktion, eine einzigartige Sonnenuhr aus dem Jahr 1700, gemeißelt aus einem einzigen Stein und mit einer Länge von ca. 15 m (2/3 der Säule stecken in der Erde) und das Ufer des Rio Uruguay. Auf der anderen Seite des Flusses begann Brasilien.
Das alles war sehr beeindruckend.
Für die Übernachtung hatte unser Fahrer uns ein Zimmer im Hotel seiner Eltern organisiert. Es gab sogar WiFi und eine Küchenecke. Wir waren begeistert.
Die Internet-Verbindung war allerdings nicht wirklich zu gebrauchen. Der Seitenaufbau dauerte ewig und Speicherungen auf unserem Blog fabrizierten immer wieder Fehlermeldungen. Bis nach der Installation eines Unterprogramms im Blog gar nichts mehr lief. Unsere Website war mal wieder zerschossen. So wie vor 15 Monaten in Kambodscha.
Ich brach meine Arbeit am Blog ab und hoffte auf eine bessere Verbindung in den Morgenstunden, um die Website aus dem Backup wieder reparieren zu können. Die Arbeit der letzten Stunden war damit natürlich verloren. Da endete der Tag diesmal etwas frustrierend.
Freitag, 08.06.18
Die Reparatur der Website klappte tatsächlich in den Morgenstunden und so waren wir um 10 Uhr abfahrbereit. Gustavo empfahl uns noch einen Abstecher zum „Esteros del Ibera“, einem Naturreservat im Inland, dann verabschiedeten wir uns.
Der Weg zum Esteros del Ibera war eine üble, steinige Lehmpiste und würde sich über 110 km durch die Landschaft winden. An Trampen war nicht zu denken, denn hier gab es so gut wie keinen Verkehr mehr. Nach den ersten 5 km kehrten wir um und beschlossen, den Park auf unserer Rückreise von Iguazú nach Posadas zu besichtigen.
Bis dahin hatten wir Zeit, uns ausgiebig über den Weg und die Wasserversorgung auf der Strecke zu informieren. Immerhin belief sich der Abstecher inklusive An- und Rückfahrt auf insgesamt auf 300 km. Das würde uns eine Woche lang beschäftigen, wenn es ausschließlich diese Lehmpiste wäre.
Auf dem Highway zurück, setzten wir uns Santo Tomé als Tagesziel. Und wegen des fehlenden Seitenstreifens für Radler und dem starken Gegenwind wollten wir auch hier wieder trampen. Nach 3 Stunden gaben wir auf und fuhren per Fahrrad weiter. Und es wurde prompt ein sehr heikles Unterfangen. Denn die wenigsten Fahrer hielten einen größeren Seitenabstand für nötig, wenn sie uns überholten. War Gegenverkehr im Anflug, hupten sie, um uns von der Fahrbahn zu jagen. Bremsen kam gar nicht infrage.
Uns blieb einige Male nichts anderes übrig, als in voller Fahrt auf den unbefestigten Rasen neben der Fahrbahn zu flüchten, sonst hätten uns einige Lkws umgenietet. Besonders heikel war das, wenn wir uns gerade in der Abfahrt befanden. Denn vor der Flucht von der Fahrbahn mussten wir da erst abbremsen bis auf Schrittgeschwindigkeit. Sonst hätte es uns schnell zerlegt.
Santo Tomé als Tagesziel gaben wir auf. Nach nur 16 km erreichten wir Alvear und beendeten diesen anstrengenden Kampf für heute zwar ohne Schäden, aber nervlich sehr angespannt.
Und wir waren erleichtert, dass wir auch heute wieder bei den Bomberos übernachten konnten. Das war allerdings nur der Kreativität der Chefin dort zu verdanken. Sie rüstete spontan das Funkerzimmer in der Eingangshalle für uns um, denn einen anderen Raum gab es nicht. Und sie wollte uns auf keinen Fall wegschicken. Das Fenster wurde mit Papierfolie zugeklebt und vor die Außentüre legte sie einen Wolllappen, damit die Kälte nicht in den Raum zog über Nacht. Echt nett.
Dann gab es Tee mit Brötchen in der Küche. Bei der Dusche waren sie sich unsicher, ob sie tatsächlich funktioniert. Alleine die Elektroinstallation sah schon abenteuerlich aus. Der Elektroduschkopf wurde über einen Sicherungsautomaten angesteuert. Einen Schalter gab es nicht. Und es knallte ganz ordentlich in der Installation, wenn man den Hebel am Sicherungsautomaten umlegte. Jetzt bloß nichts anfassen, wenn man unter der Dusche steht.
Samstag, 09.06.18
Um 9:30 verabschiedeten wir uns von den Bomberos und versuchten erneut, zu trampen. Es war mit 12 °C wieder ungemütlich kalt und zudem wehte ein scharfer Gegenwind. Die Sonne blieb leider hinter einer dicken Wolkendecke. Und es hielt wieder kein Fahrzeug. Das war frustrierend. Nach 1,5 Stunden in der windigen Kälte gaben wir auf.
Völlig durchgefroren, machten wir uns auf den Weg. Bis zur nächsten Siedlung, Santo Tomé, waren es 89 km. Mit diesem Gegenwind würden wir dafür mindestens 2 Tage brauchen. Nach 500 m Strecke sah ich im Rückspiegel, dass ca. 200 m hinter mir ein Fahrzeug auf den Grasstreifen fuhr. Ich hielt an und fuhr ein Stück zurück, bis ich erkennen konnte, … dass es ein Pickup war. Mit leerer Ladefläche.
Schaden kann es ja nicht, dachte ich bei mir und fragte den Fahrer. Und tatsächlich: er wollte uns gleich mitnehmen und fuhr nicht nur bis Santo Tomé, sondern noch 70 km weiter bis Virasoro. Wie krass sich das Blatt hier für uns gewendet hatte. Das war unglaublich gelaufen.
In Virasoro war es auch endlich deutlich wärmer. Wir hatten 24 °C und die Sonne schien. Da durften wir erstmalig nach 10 Tagen unsere Wintergarderobe wieder ablegen.
Noch während unserer Mittagspause an einer Tankstelle konnte ich ein weiteres Fahrzeug anhalten für unseren Weg bis nach Posadas. So hatten wir am Ende des Tages tatsächlich 230 km geschafft und waren endlich wieder in einer erträglichen Klimazone angekommen. Unser Fahrer half uns dann auch noch bei der Verständigung mit einem Warm Showers Kontakt, den wir vor einigen Tagen schon informiert hatten.
So landeten wir abends in privaten Räumen und konnten immer noch nicht so recht realisieren, wie sich die Dinge heute entwickelt hatten. 230 km Strecke, Kälte, Gegenwind und der gefährliche Verkehr lagen plötzlich hinter uns.
Sonntag, 10.06.18 – Mittwoch, 13.06.18
Wir blieben einige Tage in Posadas, der Hauptstadt in der Provinz Misiones. Hier genossen wir das ungewöhnlich warme Klima (24 °C) und ließen den inneren Druck der letzten Tage abfließen. Wir hofften auch auf eine baldige Genesung unserer Erkältung. Die war in den letzten Tagen mit voller Kraft zum Ausbruch gekommen.
Der Aufenthalt in Posadas gab uns auch Gelegenheit, im Krankenhaus anstehende Impfungen durchführen zu lassen. Unser Warm Showers Gastgeber begleitete uns und half beim Dolmetschen. Das verkürzte unsere Wege im Hospital und ersparte uns viel Zeit und Warterei. Doch hier war lediglich die Diphtherie-Impfung möglich. Polio und Typhus sollten wir uns in Puerto Iguazú abholen. Die hätten den Impfstoff.
Übrigens war die Impfung kostenlos. Wie angeblich die meisten medizinischen Behandlungen für Touristen kostenlos sind in Argentinien. Das konnten wir kaum glauben.
Die Zubereitung der Mahlzeiten im Haus unserer Gastfamilie war immer etwas unberechenbar. Denn durch das ständige Kommen und Gehen der Kinder samt ihrer Freunde erschien eine Mahlzeit entweder zu groß oder viel zu klein. Das brachte Annett einmal ziemlich ins Schwitzen, weil eine für 5 Personen geplante Mahlzeit plötzlich für 9 Personen reichen sollte, beim Servieren später aber letztendlich nur wir beide am Tisch saßen. So hatten wir dann Essen für 3 Tage. Amüsant.
Was uns sehr deutlich auffiel, war die allgegenwärtige rotbraune Erde, seitdem wir Misiones erreicht hatten. Alles ist rotbraun eingestaubt: die Autos, die Bürgersteige, die Leitplanken, die Möbel im Haus, alle Fußböden, einfach alles. Die meisten Straßen sind nicht asphaltiert. Da wirbelt jeder Windzug dicke, rote Wolken auf. Und nach einem Regentag ist die untere Hälfte aller Fahrzeuge tief rotbraun eingefärbt.
Das ist Misiones!
Auch unsere Fahrradketten hatten eine dicke rote Staubschicht. Da musste ich wieder einmal mit Diesel die Ketten auswaschen. Das verlängert die Lebenszeit unserer Ketten deutlich. Da sind wir uns sicher.
Neben uns waren für 2 Tage auch noch 2 Reiseradler aus Brasilien hier zu Besuch. Sie hatten brasilianische Musikinstrumente, unter anderem eine selbstgebaute Rabeca, dabei und bereicherten die gemeinsame Runde am Abend mit brasilianischer Tanz- und Musikkultur.
Ein heftiger Gewittersturm beendete nach ein paar Tagen abrupt die sommerlich warme Phase hier oben. Für die nächsten Tage war auch hier jetzt eher kaltes Klima gemeldet. In der kommenden Woche sollte es auch schon wieder neuen Regen geben.
Am Mittwoch verließen wir Posadas Richtung Iguazú. Unterwegs brachte ein Mopedfahrer seine Begeisterung über unsere Radreise zum Ausdruck und schenkte uns eine Tüte voll Obst. Ihm war wohl nicht entgangen, dass wir beide ziemlich erkältet waren. Das war eine nette Überraschung.
Sehr weit kamen wir nicht, da hatte ich auch schon wieder einen Plattfuß. Wieder ein Glassplitter. Jeder noch so kleine Splitter verursachte bei diesem Schwalbe Marathon Mondial ein Loch im Schlauch. Das war schon lange nicht mehr im üblichen Rahmen. Ich wünschte, ich wäre beim Marathon Plus geblieben, als ich unsere Fahrräder aufbauen ließ.
Das Loch war aber schnell gefunden und repariert. Doch beim Aufpumpen gab es diesmal ein besonderes Intermezzo:
Ich hatte fast die gefühlten 4 Bar Reifendruck erreicht, da gab es auf der mir abgewendeten Seite einen lauten Knall: Der Schlauch war geplatzt. Er musste sich seitlich zwischen Felge und Mantel herausgedrückt haben und ich hatte es nicht bemerkt.
Ich bereute zutiefst, heute ausnahmsweise einmal nicht, wie sonst üblich, zwischendurch den Mantel auf korrekten Sitz überprüft zu haben. Denn dann wäre mir bestimmt etwas aufgefallen. Aber Jammern half nichts. Der Schlauch war hin und die Arbeit der letzten halben Stunde ebenfalls. Aber wir haben ja stets 2 Ersatzschläuche im Gepäck. So war auch dieser Schaden schnell behoben. Im Übrigen versüßte mir Annett die Reparaturzeit auch immer wieder mit mundgerechten Obsthäppchen.
Trampen klappte heute ausgesprochen schnell: nicht einmal eine Stunde mussten wir warten. Der Fahrer brachte uns nach Santa Ana, wo wir die Ruinen der Jesuiten-Reduktion besichtigen wollten. Doch mit 230 Peso (8 €) war uns der Eintritt zu teuer. Da verschoben wir die Besichtigung auf die Jesuiten-Reduktionen in Paraguay, denn dort (bei Trinidad) kostet es deutlich weniger und es gibt mehr zu sehen.
In San Ignacio, 16 km weiter, fragten wir wieder die Bomberos und durften für die anstehende Nacht in einem Rohbau hinter dem Feuerwehrgebäude unsere Matten ausbreiten.
Wir waren sehr dankbar, die Bomberos an diesen kurzen, kalten Tagen als Nachtlager aufsuchen zu dürfen. Hier gab es immer einen sicheren Stellplatz für unsere Fahrräder, einen Waschraum, Licht, Strom und Zugang zur Kochecke. Und tatsächlich schliefen wir dort auf unseren Thermarest-Matten in der Regel bequemer als in den durchgelegenen Matratzen.
Donnerstag, 14.06.18
Wir fuhren zu den „Ruinas Jesuiticas de San Ignacio Mini“ im Norden der Stadt und beließen es bei einem Blick auf die Preisliste. Auch hier wurden die Touristen mit 230 Peso zur Kasse gebeten. Im näheren Umkreis der Anlage wimmelte es von Souvenirläden und Touristenführern, die auf das große Publikum warteten.
Doch man sah nirgendwo Touristen oder gar einheimische Besucher. Alles war menschenleer. In dem umzäunten Gelände waren gerade einmal 3 Personen auf Besichtigungstour. Der hohe Eintrittspreis schreckt mit Sicherheit viele ab.
Wir verließen San Ignacio wieder und wollten bis Puerto Rico trampen. Doch das wollte gar nicht gelingen heute. Wir warteten ganze 3 Stunden, aber kein Wagen wollte halten. Dann gaben wir frustriert auf und machten uns per Fahrrad auf den Weg.
Dieser Weg war, wie es uns die Einheimischen beschrieben hatten: Es ging nur steil rauf und steil wieder runter. Kein Stück ebene Straße. Bergauf kam ich nur noch schiebend voran. So brauchten wir bis zum nächsten Dorf, Santo Pipo, tatsächlich 2 Stunden. Auf diesen gerade einmal 16 km waren es mal eben 400 Höhenmeter.
In Santo Pipo fuhren wir noch rechtzeitig vor der Dunkelheit zu den Bomberos in der Hoffnung auf einen Schlafplatz. Der Chef war jedoch nicht da und so sollten wir erst einmal 20 min warten. Er würde das entscheiden. Aus den angekündigten 20 min wurden letztendlich 2 Stunden. Dafür konnten wir uns aber im Gebäude bei einem Becher Kaffee aufwärmen.
Der Chef kam und bot uns einen Zeltplatz nahe der Straße an. Okay, warum nicht. Der Ort erschien uns nicht gefährlich und so hatten wir zumindest Zugang zu den sanitären Anlagen im Gebäude. Weil es mittlerweile schon stockfinster draußen war, zogen wir das Abendessen vor und wollten später das Zelt aufbauen.
Während wir aßen, kam der Chef plötzlich und bot uns im hinteren Teil des Gebäudes den Fitnessraum und 2 Matratzen zum Schlafen an. Einer der jüngeren Feuerwehrleute hatte den Chef in der Zwischenzeit wohl weichgeklopft und so den Weg zu einer für uns angenehmeren Lösung bereitet. Danke vielmals!
Da sollte die Nacht natürlich wesentlich komfortabler werden. Aber um 5 Uhr in der Frühe müssten wir aufstehen und das Lager räumen. Kein Problem, Chef! Das bekommen wir hin. Na dann, gute Nacht!
Freitag, 15.06.18
Um 5 Uhr standen wir auf, wie vereinbart. 6:30 waren wir fertig zur Abfahrt. Im Sommer ist das kein Problem, doch jetzt in der morgendlichen Dunkelheit und bei 5 °C und einem deutlich spürbaren Gegenwind zu starten, das war schon etwas ungemütlich. Vor allem war es gefährlich: denn LKWs und Busse rauschten mit Tempo 100 an uns vorbei. Einen Seitenstreifen gab es nicht. Nur einen groben Schotter-Lehm-Streifen. Zum Fahren absolut ungeeignet und zum Schieben immer noch ausreichend mühsam. Aber der Schwerlastverkehr ließ uns keine andere Wahl.
Trampen machte noch keinen Sinn, denn in der Dunkelheit waren wir durch die Scheinwerfer derart geblendet, dass wir nie beurteilen konnten, ob es sich um ein geeignetes oder ein nicht geeignetes Fahrzeug handelt. Es hätte auch niemand gehalten. Wer nimmt schon freiwillig Tramper in der Dunkelheit mit?!
Also radelten oder schoben wir und erreichten am späten Nachmittag nach nur 43 km Strecke, 700 Höhenmetern und ganzen 4 Stunden urbanem Kampf im lebensgefährlichen Verkehr unser Tagesziel Puerto Rico. Hier hatten wir vor einigen Tagen schon eine Einladung von Warm Showers erhalten.
Ausnahmsweise war dessen Haus zumindest in einigen Räumen beheizt (was in Argentinien eher selten ist). Das tat meiner Erkältung ganz gut. Vor der Dunkelheit lud uns Ricardo noch auf eine kleine Stadtrundfahrt ein. Dabei erfuhren wir, dass er vor 10 Jahren der Präsident des Kolpingwerkes von Südamerika war. Puerto Rico ist das Zentrum des Kolpingwerkes hier auf dem Kontinent.
Ricardos Frau sprach ein wenig deutsch. Überhaupt gibt es sehr viele Deutschstämmige hier in der Gegend. Ricardo machte uns auch gleich mit einigen Freunden und den Großeltern in der Stadt bekannt. Und dort waren wir nach zehn Minuten eingeladen auf ein Asado (einen Grillabend in feierlichem Rahmen) in zwei Tagen. Ricardo nickte wohlwollend, womit dann klar war, dass wir mindestens bis Montag hier in Puerto Rico bleiben würden.
Samstag, 16.06.18 – Dienstag, 19.06.18
Am Samstag machte Ricardo mit uns einen Ausflug zur Gruta India, einer großen Grotte in der Felswand direkt am Fluss Arroyo 3 de Mayo, einem Nebenfluss des Rio Paraná. Neben der Grotte stürzt das Wasser in mehreren Stufen um einige Meter in die Tiefe. Ist im Sommer ein völlig überlaufenes Fleckchen Erde, doch jetzt im Winter waren wir fast alleine hier. Und per Reiserad hätten wir die Anfahrt über einige km grobe Schotterpiste nach wenigen Metern abgebrochen.
Unser Youtube-Video „Gruta India“
Danach fuhren wir noch zum Verwandtschaftsbesuch ins Hinterland: und erneut ging es über 5 km steinige Piste durch die Prärie. Wie kann man sich nur dazu entscheiden, hier zu leben? Weit ab von jeglicher Zivilisation. Der gesamte Weg ist eine Tortur für das Fahrwerk jedes Fahrzeugs. Und bei Regenwetter muss es eine fürchterliche, rote Schlammpiste sein. Aber sie sind glücklich hier auf dem Land mit ihren vielen Tieren. Das spürt man.
Am Sonntag, zum Vatertag, fand dann wie verabredet das Asado beim Großvater statt. Neben uns war fast die gesamte Familie zugegen. Es waren 22 Personen. Und mit seinen 67 Jahren wirkte der Großvater sehr vital und er hatte seinen Grill mit den vielen Fleischspießen voll im Griff. Alle paar Minuten war ein Spieß gar und das Fleisch wurde auf die 22 Teller verteilt. Es gab die verschiedensten Delikatessen von Rind, Schwein, Lamm und Geflügel.
So ging es über ca. 2 Stunden. Bis alle satt waren. Kein einziges Stück Fleisch war verbrannt oder roh oder gar zäh und durchwachsen. Der Großvater war in der Familie für sein gutes Asado bekannt und geliebt. Und wir durften es miterleben. Auch diese unglaubliche Professionalität am Grill.
Am Montag wollten wir ursprünglich weiterfahren. Doch zufällig war Ricardo Arzt und Annett konnte im Hospital wichtige anstehende Untersuchungen durchführen lassen (Mammografie und Ultraschall). Ricardo empfahl ihr, in 6 Monaten die Untersuchung wiederholen zu lassen.
Zu dieser Zeit wären wir nach aktueller Planung im Süden von Patagonien unterwegs. Also suchten Ricardo und ein Berufskollege für uns nach Kliniken in Patagonien, die für die Untersuchungen ausreichend ausgestattet waren. Dafür riefen sie spätabends sogar den Präsidenten der ärztlichen Vereinigung in der Provinz Misiones an. Der muss es wissen, versicherten uns die beiden.
Entgegen meiner Erwartungen verlief die Bargeldbeschaffung an einem der beiden Geldautomaten in der Stadt völlig problemlos: 3000 Peso gab es bei gerade einmal 6 % Gebühren. Was hatten wir dagegen in Buenos Aires für Probleme mit diesem Thema.
Mittwoch, 20.06.18
Das Trampen verlief zwar erfolglos an diesem Tag, doch ein Schweizer Pickup-Fahrer machte mir Hoffnungen auf eine Mitnahme bis Eldorado morgen Vormittag. Also radelten wir lediglich die 12 km bis zum nächsten Städtchen Garuhapé und fuhren zu den Bomberos. Wir durften bleiben und konnten das Zelt auf dem Gelände der Feuerwehr aufzubauen.
Donnerstag, 21.06.18
Wir wollten spätestens um 9 Uhr an der Straße stehen, um den Schweizer Pickup-Fahrer von gestern nicht zu verpassen. Der Morgen war kalt und das Zelt klatschnass. Wie erwartet. Aber es half nichts. Wir verpackten nass und fuhren zurück auf den Highway.
Doch der Schweizer kam nicht. Nach 2 Stunden gaben wir auf und fuhren per Fahrrad weiter.
Es war sehr frustrierend: Gegenwind, viele Höhenmeter, gefährliche Lkws und Busse, … so schafften wir in 2 Stunden gerade einmal 20 km. Wir nutzten die Mittagspause aber zum Trocknen unseres Zeltes, denn mittlerweile schien auch die Sonne wieder.
Aus einer Laune heraus hob ich den Daumen, als ein älterer Lkw vorbeifuhr. Und tatsächlich: er hielt sofort an. Ich wollte das gar nicht glauben. Denn es passte überhaupt nicht mit den Erfahrungen der letzten Tage zusammen.
Doch der Fahrer nahm uns mit und fuhr uns bis nach Eldorado. Allerdings war es sehr sandig auf der Ladefläche und der Fahrtwind erzeugte einen kleinen Sandsturm. Da waren wir gezwungen, permanent die Augen zuzukneifen.
In der Stadt angekommen, wollte Annett gleich zu den Bomberos fahren, um den Schlafplatz festzumachen. Doch ich blieb hartnäckig am Verkehr und trampte weiter. Wir hatten ja schließlich noch eine Stunde Tageslicht. Es waren jetzt nur noch 100 km bis Puerto Iguazú. Vielleicht hält ja doch noch ein Fahrzeug, bevor die Dunkelheit einbricht, so dachte ich bei mir.
Tatsächlich hielt nach nur zehn Minuten ein Fahrzeug und nahm uns dann mit bis Puerto Iguzú. Da waren wir doch erstaunt, wie glücklich das Trampen heute abgelaufen war.
Unterwegs kamen wir an einer Unfallstelle vorbei. Ein großer LKW war von der Straße abgekommen und hatte seine Kies-Ladung verloren. Überhaupt sahen wir in den letzten Tagen ungewöhnlich viele Gedenkkreuze entlang der Straße. Nicht selten stehen dabei mehrere Kreuze nebeneinander. Dann weiß man sofort, wie viele Menschen hier auf tragische Weise den Tod fanden. Gefährlicher Verkehr!
Die Suche nach einem Schlafplatz in Puerto Iguazú war nicht ganz so einfach wie das Trampen heute: Das einzige Warm Showers Mitglied in der Stadt entpuppte sich als verwaister Account, unter den Amigos en Bicicletas gab es keinen Vertreter in Puerto Iguazú und die Bomberos und auch die Polizei lehnten uns ab. Da mussten wir tatsächlich auf die Hostels zurückgreifen. Mit 400 Peso für ein Zimmer mit Frühstück trafen wir es aber gar nicht mal so teuer an.
Die Dusche im Hostel bot allerdings ein besonderes Gefahrenpotenzial: erst kam nur kaltes Wasser aus dem Brausekopf und man presste sich an den äußersten Rand der Duschkabine, um nicht zu unterkühlen. Doch dann schoss plötzlich so heißes Wasser aus dem Brausekopf, dass man keine Chance hatte, an den Kaltwasserhahn zu kommen, ohne sich zu verbrühen. Annett versuchte mit der Fußmatte ihre Arme zu schützen, um das kalte Wasser beizumischen. Doch trotzdem waren sie nachher krebsrot. Statt der sichtbar verkeimten Bettbezüge nahmen wir dann noch unser eigenes Equipment. Da fühlten wir uns wohler.
Freitag, 22.06.18
Nach einigen Wochen mühsamer Mischung aus Trampen und Radeln bei überwiegend winterlichen Temperaturen waren wir nun endlich im Dreiländereck angekommen. Hier grenzen Argentinien, Brasilien und Paraguay aneinander. Der Fluss Iguazú mündet hier in den Rio Paraná und die Grenzen zwischen diesen drei Ländern verlaufen jeweils durch die Flussmitte. Auf argentinischer Seite liegt in diesem Dreiländereck die Stadt Puerto Iguazú, auf brasilianischer Seite die Stadt Foz do Iguaçu und auf paraguayischer Seite die Stadt Ciudad del Este.
Diese Ecke ist ein besonderes Fleckchen Erde. Denn hier existieren einige Highlights. Allen voran die Iguazú-Wasserfälle. Die standen für heute auf unserem Plan. Sie zählen zu den größten Wasserfällen weltweit. Das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Wir stellten nach dem Frühstück im Hostel unser Gepäck und die Fahrräder unter und fuhren per Bus die 20 km vom Stadtzentrum zu den Cataratas del Iguazú. Mit 600 Peso Eintritt pro Person und 340 Peso für die Busfahrt (umgerechnet in Summe 51 €) nicht ganz preiswert, aber auf jeden Fall ein unvergessliches Ereignis. Und zufällig hatten wir auch bestes Wetter: wolkenlosen Himmel und angenehme 28 °C.
Selten erlebt man die Naturgewalten so nah und so eindrucksvoll wie hier an den Wasserfällen. Alle Infos im Detail haben wir in einem separaten Artikel näher beschrieben: Artikel „Iguazú-Wasserfälle„.
Unsere Videos auf Youtube:
Neben den Wasserfällen boten aber auch einige Tiere ein unterhaltsames Rahmenprogramm auf dem Besichtigungsgelände: die Nasenbären, Affen und auch einige Vögel wissen natürlich, dass die Besucher immer etwas Essbares in ihren Taschen haben. Wobei die Nasenbären auch schon mal richtig gefährlich werden können. Nicht umsonst weisen sie per Warntafeln darauf hin.
Um 17:30 waren wir wieder am Hostel, packten unsere Fahrräder und verließen Puerto Iguazú Richtung Brasilien. Direkt nördlich von Puerto Iguazú überquert man den Fluss Rio Iguazú und damit die Grenze zwischen Argentinien und Brasilien.
Am argentinischen Grenzposten gab es lediglich den Stempel in den Pass, doch auf der brasilianischen Seite erwarteten wir eine aufwändigere Prozedur. Hier muss man eine Deklarationskarte ausfüllen und sie kontrollieren, ob man auch tatsächlich kein Obst, Gemüse oder andere pflanzliche Lebensmittel mit sich führt. So stand es in den Erfahrungsberichten im Internet.
Doch tatsächlich lief alles ganz anders. Die Grenzbeamten winkten uns an der Schranke durch und wünschten uns noch gute Weiterreise. … Moment mal! Und warum gibt es hier keinen Stempel in den Pass? Ich fuhr zurück und fragte die Beamten. Ach ja, natürlich! Den bekommt ihr in dem Gebäude da hinten.
Und in dem besagten Gebäude gab es dann ohne Deklarationskarte und ohne weitere Fragen zu verbotenen Dingen im Gepäck den Stempel in den Pass und wir waren fertig. Wir waren zwar dankbar, dass die Grenzabwicklung in Südamerika deutlich einfacher war als in vielen asiatischen Ländern, doch hier waren uns die Kontrollen schon fast zu leichtfertig.
Jedenfalls waren wir somit noch vor der Dunkelheit in Brasilien angekommen. Hier hatten wir in 6 km Entfernung in der Stadt Foz do Iguaçu eine Warmshowers-Unterkunft arrangiert.
Weiter geht es im Artikel Brasilien Süd 2018.
Resümee Argentinien Nordost 2018
Dies war unser erster Aufenthalt in Argentinien und auch in Südamerika. Wir erlebten Buenos Aires und einige andere Sehenswürdigkeiten, gefährliche Highways ohne Seitenstreifen für Radler, rustikales Bruchsteinpflaster, die Mate-Kultur, das Asado, die Herzlichkeit der Menschen und einige nass-kalte Tage.
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Lesetipps:
Tipps für Radreisen in Argentinien
Sehenswürdigkeiten in Argentinien
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